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geneen rüsch her
Der Dialog „Weihnachtseinkäufe“ aus
dem Zyklus Anatol ist eine fein pointierte,
von geistreichen Einfällen und Wortspielen
durchsetzte Sindie, mit welcher der Dichter
wohl selbst nicht sein Bestes gegeben zu haben
glaubt.
Den Höhepunkt des Abends bildete die
Vorlesung des Einakters „Die letzten Masken“.
In ergreifender, packender Weise schildert
Schnitzler einen an der Welt und wohl auch
an sich selbst zugrundegegangenen Dichter, der
im Elend seine Sterbestunde erwartet; er
läßt den Freund aus der Jugendzeit, der
mittlerweile ein berühmter Dichter geworden
ist, zu sich holen, um ihn zu sagen, daß er
der Zurückgesetzte — von ihnen Beiden
der reichere gewesen, indem des Anderen —
des Berühmten — Gattin von dessen geisti¬
ger Oede zu dem armen verkannten Freunde
sich flüchtete. Dem Sterbenden treten die
„Lebendigen Stunden“ seines verpfuschten
Lebens vor die erlöschenden Augen. Und wie
nun der große, berühmte Dichter kommt und
der Sterbende, der ihn mit einem Worte zu
Boden schmettern könnte, schweigt, weil er die
Nichtigkeit alles Seienden erkennt und Neid
und Haß in nichis zusammensinken vor dem
großen Unbekannten, das muß man gelesen
und wenn man es voll, in ganzer Größe auf
sich wirken lassen will, von Schnitzler selbst
gehört haben.
Ich glaube, daß dieses Werk ein bleiben¬
der Gewinn für unsere Literatier sein wird.
Zum Schlusse brachte uns Schnitzler die
Humoreske Exzentrik“ welche die Zuhörer
durch geistreiche, witzige Führung des Dialo¬
ges unterhielt.
Diese Vorlesung regte wohl wieder ein:
mal die Frage an: Bietet uns ein Werk
mehr, wenn wir es selbst lesen, oder, wenn
es uns vorgelesen wird?
Ich glaube: Es kommt auf das Werk
und auf den Vorleser an. Die letzten Masken
werden sich wohl viele noch einmal vor¬
nehmen und vielleicht mit noch größerem
Genusse auf sich wirken lassen.
Schnitzler ist ein idealer Vorleser im
modernen Sinne; alles dröhnende Burg¬
theaterpathos ist ihm fremd; er ist eine stille,
vornehme Natur; seine Art zu lesen bringt
den vielgelästerten Naturaltsmus zu Ehren.
Daß dabei seine Art eine spezifisch wienerisch¬
österreichische ist, darin mögen neben allen
Vorzügen wohl auch die Grenzen seines Kön¬
nens liegen.
Dem Teplitz=Schönauer Leseklub gebührt
Verdienst und Dank dafür, daß er uns diese
Bekanntschaft vermittelt hat; ich glaube, daß
dieser Verein für das, was wir die Kultur
des Volkes nennen möchten, mehr leistet, als
#andere mit dröhnenden, nationalen Phrasen.
Aber zum Schlusse doch noch eine Bitte:
Mehr Vorträge und weniger Vorlesun¬
gen. Ich weiß, daß dies eine schwer erfüll¬
bare Bitte ist. Aber der Leseklub hat uns so
verwöhnt, daß unsere Ansprüche immer unbe¬
scheidener werden.
Dazu kommt auch noch, daß für den
Vorleser, der über ein zwar ungemein ange¬
nehmes, aber nicht allzu kräftiges Sprach¬
organ verfügt, und der im Interesse einer
natürlichen Sprechweise sein Organ auch nicht
voll ausnützt, der Saal des Vereinshauses
zu groß ist. Moderne Sprechweise verlangt
Intimere Räumlichkeiten.
Was nützt die
sthönste Vorlesung, wenn ein namhafter Teil
der Erschienenen nichts hört oder versteht?
Im zwangslosen Beisammensein seierte
nachher Herr Dr. Richard Pollak den be¬
rühmten Gast in warmen, begeisterten, treffen¬
S
(Klae
1

#.
Telephon 12801.
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San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelleyongabe phne Gewähr.)
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Ausschnitt aus:
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vom:
[Vortrag Arthur Schnitzler.] Die
Reihe der vom „Teplitz=Schönauer Leseklub“ veran¬
stalteten Vorträge wurde Montag abends mit einer
Vorlesung Arthur Schnitzlers eröffnet. Der
Ruhm des Dichters, der sicherlich zu unseren meist¬
gespielten und =gelesenen Autoren gehört, hatte zahl¬
reiche Besucher angelockt und der große Saal des so
Vereinshauses war dicht besetzt. Zuerst gelangten die
„Weihnachtseinläufe“ zur Verlesung. Anatol, der
Virtnose der freien Liebe, der die Eigenart all der
Frauen und Mädchen, die der Rausch seines Stun¬
8
denglückes waren, feinschmeckerisch auskostet, wie die
Blume ebensovieler köstlicher Weine, dieser Anatol
trifft am Weihnachtsabend eine Frau der feinen Ge¬
sellschaft, die ihn liebte und liebt, eine Frau, deren
Mund „nein“ sagte, wo doch die Augen hundertmal
„ja“ gesagt hatten. Anatol sucht nach einem passen¬
den Weihnachtsgeschenk für das Vorstadtschätzchen,
das derzeit die glühenden Lippen des Lebemannes mit
der Frische unverbrauchter Mädchenliebe netzt. Und
es ist nun ungemein reizvoll, wie Anatol mit kecker
Galanterie und ironischer Bitterkeit die Neugierde
und Eifersucht der einst geliebten Frau nährt, wie
diese mit dem Spotte der vergessenen Frau die Ri¬
valin ins Lächerliche und Triviale zu ziehen sucht,
wie aber unversehens aus den Worten Anatols warm
und lebensvoll die Gestalt des süßen Mädels her¬
vortritt und wie nun die stolze Mondaine demütig
und schmerzlich dem armen Mädel Blumengrüße
sendet, mit Worten, die ihre Niederle#e bekennen.
Der Dichter verstand es, den Hörer durch einen
kurzen Dialog, scheinbar eine anspruchslose Plau¬
derei, für drei Menschenschicksale zu interessieren.
Auch im Vortrage wirkte die Szene sehr. Als zwei¬
tes Vortragsstück brachte der Dichter die einaktige
Tragödie „Letzte Masken“ aus den „Lebendigen
Stunden.“ Ein Intelligenzproletarier und Zeilen¬
schinder, Rademacher, liegt sterbend im Krankenhause.
Sein Stubengenosse Jackwert, ein Komödiant, teilt
ihm seinen Zeitvertreib mit: sich auszufluchen über
die Personen seines Hasses, die Maske ihnen vom
S
Gesichte zu reißen — aber natürlich nur im eigenen
Innern, in wollüstiger Phantasie. Aber Rademacher
#ies ui von der Gier gepeckt, dem Menschen, v#en
er mit seinem tiefsten Hasse haßt, seinem Jugend¬
freunde Weihgast Aug ins Auge seine brutale
Meinung zu sagen. Dann wird er ruhig sterben.
Weihgast hat die ersten Sprossen der literarischen
Stufenleiter mit ihm gemeinsam erklommen. Aber
dann klomm Weihgast, gestützt und getragen von der
Gunst der Menge, um die er buhlte, flugs in die Höhe.
Rademacher blieb unten, hungernd, ringend und
ehrlich. Aber ihm offenbarte sich die Lächerlichkeit
des literarischen Clowns, sie offenbarte sich ihm in
der Meinung der ehrlichen Kritiker, in dem Ekel der
eigenen Gattin, die den gefeierten Gatten mit ihm,
dem Bettler, betrog. Und nun in seiner Sterbe¬
stunde will er ihm alles enthüllen, die Maske ihm
Pandiktn“