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1. Die Frage an das Schifn2n1 box 34/5
Ernst Welisch hatte die Regie. Svend Gade entwarf
die Interieurs; das Zimmer im „Abschiedssouper“ namentlich war
Theater-Ceurier, Berlin
köstlich und verschwenderisch.
ERICH K. SCHMDDT.
14 # fl. 1917
Im Herrnfeldtheater wird jetzt allabendlich herzlich ge¬
Ein Schnitzler=Abend.
lacht und war über die an komischen Situationen so überaus reichen
Vorgänge in „Ehe=Urlaub“, Schwank in 3 Akten von Julius Horst.
Versünkene Westent—Sphare—der Smoking und des Fracks!
Mit seinem Buch unter diesem Titel hat ein junger Schriftsteller eine
Zärtliche Luft in verschwiegenen Räumen, von sensiblen Gefühlchen
heillose Verwirrung hervorgerufen. Durch seine Ratschläge hetzt er
geschwängert! Liebeleien, die sich ohne Katastrophen lösen! Anatol¬
beinahe Ehen auseinander. Aber nur beinahe Es wird alles
reigen!... Wohin entschwandet ihr, begnadete Stunden, da die
wieder gut. Ja, der junge Mann bekommt sogar das Töchterchen,
Untreue einer Frau zu den schmerzlich=süßesten Erlebnissen gehörte,
das liebliche, das da durch eine der Ehen hopst. Die lustigen Szenen
die dieser Erdball bot? Jetzt ist da alles .. wenn auch nicht aus¬
werden gehoben durch ein sehr flottes Ensemblespiel, aus dem be¬
gelöscht aus suchenden, irrenden Menschenherzen, so doch gemach in
sonders Herr Dir. Berisch hervorragt.
JULIUS URGISS.
die zweite und dritte Linie gedrängt, und das Theater in der
Königgrätzerstraße hat das Verdienst, uns ein Märchen der
Wirklichkeit zu zeigen, wie es war und wie es, ach einstmal, wieder
In der Kgl. Hochschule für Musik trat jüngst eine junge
sein wird, indessen uns allen die Faust der Kriegsfurie brutal am
Tanzkünstlerin vor die Oeffentlichkeit, ohne Publikum und Presse für
Kragen stand.
sich gewonnen zu haben. Ymelda von Mentelberg heißt die
Man sah also drei Stücke aus dem „Anatol“, durchweht von
junge Dame. Es ist eben schwierig, in einer Zeit, die eine Unmasse
der heiter=melancholischen Atmosphäre verliebter Jugend; Dialoge, denen
Sterne am Tanzhimmel hervorgebracht hat, sich unter diesen einen
Schnitzler das Arom überlegener Ironieen gab, auch wenn da und
Platz zu erringen und zu sichern. Und wenn nicht mit ganz weiser
dort eine winzige Spitze sich zeigt; auch wenn zuweilen ein schrillerer
Vorsicht ein Programm zusammengestellt ist, so besteht man eben
Ton die verdeckte Leidenschaft der Partner enthüllt.
nicht einmal die Feuerprobe. Nicht durch die Masse kann man be¬
„Denksteine" und „Frage an das Schicksal“ haben ein Gemein¬
zwingen — das Publikum zeigt viel mehr Interesse, wenn man mit
sames: die Eifersucht im männlichen Herzen, und es werden darm
seinen Darbietungen geizt. Und dann gibt es in der Tanzkunst nicht
mit leichten Gesten tiefgründige Wahrheiten dargetan; Sätze gesagt,
soviel Ausdrucksmöglichkeiten, daß von 11 Nummern jede ihr eigenes
die die Wechselbeziehungen der Geschlechter scharf durchleuchten, auch
Gesicht trägt. Es folgt darum Wiederholung auf Wiederholung, die
wenn sie beiläufig in harmlosem Zwiegespräch entstehen. Der Reiz
im Laufe von 2¾ Stunden das Publikum ermüdet. Ymelda von
der „Schicksalsfrage“, darin ein junges Mädchen hypnotisiert wird,
Mentelbergs größtes Ausdrucksvermögen liegt in den Armen und
um ihre wahren Gesühle selbst zu verraten, besteht eben darin, daß
Talent soll ihr garnicht abgesprochen werden. Zu den vollendetsten
diese Frage von dem verliebten Anatol schließlich nicht gestellt wird
Leistungen des Abends gehören die pantomimischen Stizzen: „Vier
sondern daß er, nach wahrhaft titanischem Ringen, sein Mädel auf¬
Lebensalter“ (spielendes Kind, suchendes Mädchen, junge Mutter,
weckt und, wie es mit ihrer Treue auch besteilt sei, von neuem ge¬
Abschied der Greisin); die letzte Skizze paßt allerdings nicht in den
rührt in die Arme nimmt. Die „Denksteine" gehen um einiges
Rahmen eines Tanzabends. Bewies Ymelda von Mentelberg in der
tragischer aus, denn in ihnen zeigt sich, daß die Frau, die Anatol
Zusammenstellung des Programms wenig Geschicklichkeit, so darf nicht
aus tiefer Sphäre hob, ihr Kokottentum doch nicht ganz verlor; daß
vergessen werden, daß sie mit künstlerischem Geschmack ihre Kostümg,
sie nicht fähig war, sich von einem kostbaren Stein zu trennen, ob¬
wählte. — Im selben Saal fand einige Tage vorher ein Auerbach¬
wohl sie es versprach; daß die Schminke der Gefühle von ihrem
Abend statt. Der sympathische Künstler brachte gut und mit viel
Antlitz fällt, als Anarol den Stein ins Feuer wirft, und sie, wieder
Laune schwäbische Dialektsachen zum Vortrag und erntete damit großen
Dirne ganz, mit gierigem Schrei zum Ofen stürzt. Da aber Anatol
Beifall.
M. 1.
entschlossen war, gerade diese Frau zu seinem Weibe zu machen, undk
da wir ihn doch noch weiter als Liebhaber erleben wollen, verliert
auch die „Denkstein“=Episode ihren tragischen Akzent, und wir sehen,
im „Abschiedssouper“, den Falter Anatol bereits von einem anderen
Blumenkelch sich lösen, um zu neuen Blüten zu segeln. Das Mäde!
vom Theater, das Annie heißt, in Uebermut und Sektlaune iolle
Kapricen schlagend, war von jeher eine ergibige Rolle für viele
Schauspielerinnen. Die ganze Stimmung über dem Stück ist wie von
Sektbläschen durchsetzt, und das lockere Bündnis zwischen Annie und
Anatol geht in die Brüche, ohne daß auch nur eine einzige Träne fiele.
„Literatur“ ist von derberer Art. Satirisch schärfer durchsetzt.
Voll Witz und sonster Bosheit. Die Typen karitiert. Sowohl der
des münchener Literaten als auch der des adligen Sportsmannes.
Eine kleine Komödie von scharfem Schnitt.
Eugen Burg spielte in den ersten drei Stücken den Anatol;
in „Literatur“ den Clemens. Er steht schon einigermaßen jenseits
des Jünglingtums und gab darum seiner Gestalt eine reifere Note.
Er war ganz überlegener Genießer, der kaum aus den Angeln zu heben
ist; alle seine Gesten waren leicht, sein Ton gedämpft. Ein Anatol,
wenn auch nicht vorbildlich, so doch in seiner gesicherten Ruhe acht¬
bar und wirksam in jeder Phase. Den Clemens gab er strohblond,
ein wenig steifbeinig; von sanfter Beschränktheit des Gemüts; mit
näselndem Ton. An zahlreichen Stellen erschütternd komisch.
Alexander Ekert als Max, des Anatol Freund, war der
einzige, der seiner Gestalt die wienerische Nuance lieh, auch wenn er
durchaus passiv sich zu verhalten hat. Den Literaten Gilbert in
„Literatur“ spielte er mit einer struppigen, resoluten Komik. Eine
festumrissene Figur, die sehr gefiel.
Irene Triesch war einmal, in den „Denksteinen“, die Dirne
Emilie: zu reif, zu überlegen, zu intellektuell. Die literarische Dame
mit der bunten münchener Vergangenheit gelang ihr besser; sie gab
ihren Worten einen spöttischen Unterton, der auch hier wieder be¬
wies, daß sie über ihrer Rolle stand, doch war der Eindruck in diesem
Stück weniger brüchig als zuvor. Unnötig, zu sagen, daß ihre eigent¬
liche Domäne in anderen Breiten liegt.
Maria Orska aber war ganz an ihrem Platz; als Cora
ebenso wie als Annie. Zuerst eine Geliebte von Kultur; von äußerst
dezentem Spiel; im „Abschiedssouper“, als kleines Theatermädel,
von perlendem Uebermut, ungeheurer Eßgier, allmählich einem freund¬
lichen Schwips verfallend, den sie mit einfachen Mittel sichtbar macht.
Sie verschwand, in einem wirbelnden Finale, aus dem Gesichtskreis
des verblüfften armen Anatol.