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2. Benerkungen box 35/2
aus dem Tore tretend die Fassade mit aufmerksame¬
ren Blicke mustert, daß auch da an Flecken und
Sprüngen kein Mangel ist.
Das Urteil der meisten Menschen über andere,
auch solche, die ihnen sehr nahe stehen, ist so wenig
fest und tief gegründet, daß sie nicht erst ihre Gesin¬
nung wechseln oder ihre Uberzeugung verleugnen
müssen, um auch den besten Freund zu verraten.
Dem seelischen Schmerz ist es gegeben, auch der
armseligsten Stirn einen Heiligenschein zu verleihen;
die gemeine Sorge des Tags verzerrt auch das edelste
Antlitz zur Fratze.
Die wesentlichste Aufgabe des wahren Priesters
wird es immer sein, Gott zu verteidigen gegen die
Mißverständnisse, Uberheblichkeiten und Zudring¬
lichkeiten, die der Fromme für Glauben zu halten
pflegt.
Heilige hat es immer gegeben, niemals aber noch
einen Menschen, der das Recht gehabt hätte, einen
andern Menschen heilig zu sprechen.
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An der Tiefe des Erlebnisses gemessen, aus dem
wir eine Weisheit gewonnen haben, muß diese selbst
immer platt erscheinen; oder ist es weder ein Erleb¬
nis gewesen, noch eine Weisheit geworden.
In der Liebe erkennen wir meist zu spät, ob ein
Herz uns geliehen, ob es uns geschenkt oder ob es
uns geopfert wurde.
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