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Trel
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 305
BBRLIN N4
Ausschnitt aus:
Neue Leipziger Zeitung
1.Mai192“
Bemerkungen
Von Arthur Schnitzler
Aus dem unveröffentlichten „Buch der Sprüche und
Bedenken“
Wie oft halten wir für Unversöhnlichkeit der An¬
sichten, was nichts anderes ist als Verschiedenheit der
Temperamente.
Ich glaube dir deine Weisheit nur, wenn sie dir
aus dem Herzen, deine Güte nur, wenn sie dir aus
dem Verstande kommt.
Du sprichst von deiner Mission? Das klingt
etuas pathetisch. Oder sollte es nicht am Ende nur.
der Vorwand sein, unter dem du dich deiner Pflicht
t entziehen gedenkst? Denn dies ist der ernstere,
schwerere und verantwortungsvollere Begriff; und
was du deine Mission nennst, das muß notwendig in
deiner Pflicht enthalten sein; — oder du bist deiner
Mission niemals wert gewesen.
Daß du ihn völlig durchschautest, das hat dir noch
keiner verziehen, er mag noch so gut dabei weg¬
gekommen sein.
Wenn einer sugt, daß er die Menschen liebe, so
spricht er das kaum jemals ohne Rührung über seine
Herzensgüte aus; behauptet ein anderer, er verachte
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so erklärt er das selten ohne Stol, auf seine
Weisheit. Wie immer einer sich zu den Menschen
stelle, es werden manchmal die Menschen — aber die
eigene Eitelkeit wird niemals dabei zu kurz kommen.
Menschliche Beziehungen, die auf großem Fuße
eingerichtet waren, lassen sich nur unter schmerzlichen
und beschämenden Opfern in kleinem Stile weiter¬
führen, und klüger ist der Entschluß, einen gemein¬
samen seelischen Haushalt einfach aufzulösen als der
Versuch, ihn mühselig zu beschränken.
Die sogenannten impulsiven Menschen sind
meistens nicht Verschwender, sondern nur Ungeduldige
ihres Gefühls.
Mit dem Ohr der Menschheit ist es so beschaffen,
doß es den Schall zu verschlafen und erst vom Echo
zu erwachen pflegt.
Wenn man mit einem Politiker von guten
Manieren und einiger Klugheit in eine Unterhaltung
gerät, macht man meistens die überrraschende, aber
sympathische Entdeckung, daß er eigentlich gar nich
zu seiner Partei gehört.
Büro für Zeitungsausschnitte
Telsion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Dresdner Neueste Nachrichten
5 Juni
Bemerkungen
(Aus dem noch unveröffentlichten Buch der „Sprüche
und Bedenken“)
Von Arthur Schnitzler
(Nachdruck verboten)
Wenn zwei Menschen einander bis ins Tiefste ver¬
so ist das gerade so, wie wenn zwei
stehen wollen,
gegenübergestellte Spiegel sich ihre eigenen Bilder
immer wieder und von immer weiter her wie in ver¬
zweifelter Neugier entgegenwerfen, bis sie sich endlich
im Grauen einer hoffnungslosen Ferne verlieren.
Zu bereuen glaubst du? Ach, du hast dir nur an
die Brust geschlagen.
Um eine Unrichtigkeit als Lüge schmähen zu
dürfen, müssen wir sie erst des bösen Willens über¬
weisen. Und ehe wir uns vor einer Richtigkeit beugen
wie vor einer Wahrheit, muß uns der Glorienschein
des Mutes von ihrer Stirne entgegenstrahlen.
Kommt eine Wahrheit, die du einmal aus er¬
füllter Seele sprachst, von andern Lippen, gleichsam
als geflügeltes Wort zu dir zurück, so wirst du manch¬
mal versucht sein, sie zu empfangen wie der Vater den
verlorenen Sohn, der einst mit Reichtümern in die
Welt entfloh und, endlich heimgekehrt, als Bettler an
deine Türe klopft.
Auch das ist Lüge, und ist die kläglichste von
allen: sich anstellen, als wenn man einem Lügner seine
Lüge glaubte.
Manche Menschen glauben, daß sie sich weit ent¬
wickelt haben, und von allen ihren Eigenschaften ist
es nur ihre Eitelkeit, auf die ihre Einbildung zutrifft.
Du klagst, daß du ihm nichts Uebles getan hast
und daß er dennoch auf Rache sinnt? Kein Anlaß zur
Verwunderung. Was er dir nachträgt, ist nicht deine
Schuld, sondern sein schlechtes Gewissen.
In einer kranken Beziehung haben wir, wie in
einem kranken Organismus, auch das scheinbar Nich¬
tigste als Symptom der Krankheit zu deuten.
Wenn du dich zur Versöhnlichkeit geneigt fühlst,
so frage dich vor allem, was dich eigentlich so milde
stimmt: schlechtes Gedächtnis, Bequemlichkeit oder
Feigheit.
Warum bildet sich der letzte Tropfen so viel darauf
ein, daß er den Becher überfließen machte? Der erste
schon war nicht minder schuldig; — aber der törichte
Becher hat es damals noch nicht geahnt.
Daß man zuweilen mehr, zuweilen weniger
tun muß als seine Pflicht und eben durch dieses Mehr
oder Weniger sie erst zu erfüllen vermag: das ist das
Problem, dem wir in jeder schweren Lebenslage immer
wieder gegenüberstehen.
Ein großes Herz vermag reicher zu beschenken
als die leichteste Hand. Aber wo sind die Bedürftigen,
die solche Gaben dankbar empfangen? Sie wollen es
dann kaum jemals wahr haben, daß sie einmal arm
gewesen sind.
Bereit sein ist viel, warten können ist mehr,
doch erst: den rechten Augenblick nützen — ist alles.
Dein unversöhnlicher Todfeind, das ist wahrschein¬
lich der einzige Mensch, mit dem du dein Lebenlang
in einem ganz reinen Verhältnis zu stehen vermöchtest,
vorausgesetzt, daß ihr einander niemals persönlich
kennenlernt.
Auch das Chaos gruppiert sich um einen festen
Punkt, sonst wäre es nicht einmal als Chaos da.
Lebensklugheit bedeutet: alle Dinge möglichst
wichtig, aber keines völlig ernst nehmen.
*
Jünger —?! Gott schütze mich vor ihnen; — das
ßind mir die Freunde noch lieber.
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