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Buch der Sprnecheund Bedenken

NCDSERVERG
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Kolkszeitung, Wien
2 4. 0KT. 1937
vom:
Sprüche und Bedenken.
Von Artur Schnißler.
Was als Persönlichkeit wirkt, ist das
Leuchten aller Möglichkeiten eines Charakters
hinter seinen wirklichen und zufälligen Lebens¬
äußerungen.
Auch der ehrlichsten Ueberzeugung muß
ich meinen Respekt versagen, wenn mir die
Sache nicht ehrlich scheint, der sie gilt.
Man hat es so leicht, seine Erinnerungen
zu schreiben, wenn man ein schlechtes Ge¬
dächtnis hat.
Es ist die schlimmste Verschwerdung an
Geist und Herz, Gegner zu überzeugen suchen,
die gar nicht daran denken, ihrer eigenen An¬
sicht zu sein.
Kern Aermerer auf der Welt als der
Reiche, der es nicht versteht, zu verschwenden.
Das Schlimmste, was einem Dichter
passieren kann, das ist: für seinen eigenen Ein¬
fall nicht reif zu sein.
Wer deine bittersten Feinde sind? Un¬
bekannte, die ahnen, wie sehr du sie verachten
würdest, wenn du sie kenntest.
Wenn der Haß feige wird, geht
maskiert in Gesellschaft und nennt sich Ge¬
rechtigkeit.
Lebensklugheit bedeutet: alle Dinge mög¬
lichst wichtig aber keines völlig ernst nehmen.
Der Trotz ist die einzige Stärke der
Schwachen — und eine Schwäche mehr.
Mit dem Ohr der Menschheit ist es so be¬
schaffen, daß es den Schall zu verschlafen und
erst durch das Echo zu erwachen pfleat.
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Hüte dich vor den Bescheidenen — du
ahnst nicht, mit welch gerührtem Stolz sie ihre
Schwächen hegen.
Keinen Anlaß zur Lüge haben, heißt noch
nicht aufrichtig sein.
Wahrhaftig ungütig sind wir nur gegen
Menschen, von denen wir wissen, daß sie uns
niemals verlorengehen.
Du kannst einen Menschen daran hindern,
zu stehlen, aber nicht daran ein Dieb zu sein.
Nur unter deinesgleichen hast du das
Recht, dich einsam zu fühlen.
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