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Buch der Sprneche und Bedenken
genossen überlegen zu fühlen — wenn er sich einbilden darf. dali
er dessen Schicksal für eine Weile in der Hand hält, oder daß er
ihm wenigstens durch ein bißchen Spott und Verachtung für eine
Stunde die Laune verderben kann; — darf man sich wundern, daß.
#er eine solche Gelegenheit nicht ungenützt verstreichen lassen
will?
Es wäre töricht, den Seelenzustand dieser Unglücklichen mit
dem Worte Neid abzutun. Sie benützen einfach, ohne böse Ab¬
sicht, automatisch gewissermaßen, den Anlaß — ach. er kommt so
selten! — sich für ihr eigenes, in gewissem Sinn oft genug unge¬
rechtes Schicksal, so gut es geht. eine Weile hindurch schadlos zu
halten, indem sie ihre Erbitterung abzureagieren versuchen. Und
da es in der Kunst. wie in allen menschlichen Dingen nichts absolut
Vollendetes gibt. und jedes, auch das gelungene. das bedeutende.
das große Werk der Kritik von irgend einem Treigewählten Stand
aus genügend viel Angriffspunkte bietet, da ferner das Ver¬
schweigen von Vorzügen als durchaus erlauht. aber auch Entstel¬
lungen. Leichtfertigkeiten. Bosheiten auf diesem Gebiete keines¬
wegs als unanständig angesehen werden: — ja. da solche Leute in
ihrem verdüsterten Gemüt sich auch gegen die guten Seiten eines
gehaltten Autors blind zu machen verstehen — dürfen sie vorsich
und vor anderen auch weiterhin als ehrliche Kritiker gelten —
auch wenn sie diesen Anspruch in einem höheren Sinn durchaus
verwirkt hätten.
Manchmal möchte man fast glauben, bedeutende historische
Ereignisse erfolgten nur zu dem Zweck, um den Rezensenten
immer wieder einen neuen falschen Maßstab für die Betrachtung
von Kunstwerken an die Hand zu geben. Hlatte man die Bedeutung
der Werke durch eine Reihe von Jahren mit Vorliebe an der
„großen Zeit“ gemessen — (ein Schlagwort, das nun vielfach von
denselben Individuen verspottet wird, die es damals für ihre
Zwecke mißbraucht und zu Tode gehetzt haben) —, so ist nun das
Schlagwort von der „versunkenen Welt“ aufgekommen, für die
sich in Wirklichkeit kein anständiger Mensch mehr zu interessie¬
#ren vermöge, und die daher künstlerischer Behandlung überhaupt
nicht würdig sei.
Waraber der Phrase von der „großen Zeit“ immerhin noch eine
Spur von Vernunft zuzubilligen, zum mindesten, wenn man sie in
quantitativer Hinsicht zu verstehen suchte, so ist die von der „ver¬
sunkenen Welt“ — mag sie auch von manchen sonst gescheiten
Menschen gedankenlos nachgeplappert werden —, so völlig sinn¬
los und verrät eine so naive Auffassung vom Wesen politischer.
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