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3. Buch der
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Sprueche und Bedenken
Woher nur dein Drang. o Dichter, von den köstlichen Stunden
Deiner Einsamkeit der aufhorchenden Welt zu erzählen? Solltest
du im Grunde nicht eine höchst gesellige Natursein und ein wenig
Geck dazu?
Künstler sein, das heiltt: verstehen, die rauhen Flächen der
Wirklichkeit so glattzuschleifen, daß sie die ganze Unendlichken
von den Höhen des Himmels bis zu den Tiefen der Hölle wider¬
zuspiegeln vermag.
In jeder Epoche bildet sich eine literarische Manier aus. mit
der auch die geringeren Talente mehr oder weniger gewandt zu
wirtschaften verstehen und die den Stil dieser Epoche unfreiwillig
parodiert. Und es gibt wahre Genies der Manier unter diesen
naiven oder hochstaplerischen Parodisten, die nicht nur das Publi¬
kum. sondern auch die Kritik zu täuschen verstehen. — Der klas¬
sische Stil ist es. der sich zu solch manieristischer Behandlung am
wenigsten eignet. weil hierohne einige Bildung. Fleiß und Geduld
doch nichts auszurichten oder vorzuspiegeln ist: der naturali¬
Stische und derexpressionistische Stil bieten sich manieristischster
Behandlung am bequemsten dar. Auch echte Talente aber ver¬
fallen in ihren schwächeren Perioden in Manierismus, manchmal
sogar solche. die in ihrer besseren Zeit den neuen Stil selbst ge¬
schallen und ausgebildet haben.
Es mag dem Künstler begegnen, daß er mit seinem Stoff lange
Zeit so überlegen gespielt hat, wie ein geschickter Jongleur mit
seinem Ball; daß es ihm gelang, ihn aus den höchsten Höhen und
fernsten Fernen immer wieder im rechten Augenblick mit ge¬
wandien Händen aufzufangen: — bis er ihm doch einmal unver¬
schens entgleitet. davonhüpft und in irgend einem Lebensgestrüpp
verschwindet, aus dem er sich niemals wieder hervorholen lälit.
Wir sind allzuolt geneigt, unter einer trübe schillernden Ober¬
fläche Tiefe zu vermuten: — und wenn wir uns entschließen.
nachzuprüfen, reicht unser kleiner Finger schon bis auf den
Grund hinab. Eine klare Oberfläche aber täuscht uns immer wie¬
der Seichtigkeit vor. indem sie unserem ahnenden Blicke gestättet.
bis in eine Tiefe hinabzuschauen, die wir mit dem Senklot des
Verstandes niemals zu erreichen vermögen.
Nur stillgeschwiegen. Autor — und keine Erwiderung! Die
einzige. die du allen Angriffen entgegenstellen darfst, hast dn
schon vorweg genommen: — dein Werk. Wenn es dauert, hast
du Recht behalten.