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Luch der Sprusche und Bedenken box 35/3
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N 4
Bossische eilung, werlin
E 3 Jan 1925
Schnitzlerworte. Unter Aphorismen von Arthur
Schnißt
die dieser Tage in der „Neuen Freien
Presse“ veröffentlicht werden, finden sich die folgenden Sprüche:
In jeder wirklich guten Anekdote steckt der Keim zu einem
Mythos, jede dichterische Allegorie nimmt die Richtung nach einem
Symbol zu.
Es ist immer noch besser, wenn sich zwei Menschen über den
tiefen Abgrund ewiger Fremdheit hin kühl die Hände reichen,
als wenn sie einander über den trügerischen Wirbeln des Ver¬
stehens gerührt in die Arme sinken.
So mancher glaubt, immer noch einem verlorenen Glücke nach¬
zuweinen, und es ist längst nur mehr der abgeschiedene Schmerz
darum, dem seine Tränen fließen.
Im Herzen jedes Aphorismus, so neu oder gar paradox es sich
gebärden möge, schlägt eine uralte Wahrheit.
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Telephon: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Hannoverscher Anzeiger
11. Jan 1925
sich immerhin so fest in das edle Tier einkrallt,
daß geraume Zeit hindurch auch noch der verdorbene
Bemerkungen zum Thema Kunst
Leichnam, ein lächerlich gespenstischer Anblick, auf
dem Rücken des galoppierenden Renners hocken
und Krint.
bleibt, ehe er herunterstürzt, um am Wegrand zu
verwesen.
Von Arthur Schnitzler.
Aus dem noch nicht erschienenen „Buch der
Manchmal möchte man fast glauben, bedeutende
Sprüche und Bedenken“.
historische Ereignisse erfolgten nur zu dem Zweck.
um den Rezensenten immer wieder einen neuen
falschen Maßstab für die Betrachtung von Kunst¬
Wenigen Menschen ist es gegeben. einem Kunst¬
werken an die Hand zu geben. Hatte man die
werk als ruhig Betrachtende gegenüberzustehen; aber
Bedeutung der Werke durch eine Reihe von Jahren
kaum einer ist fähig oder gewillt, während er das
mit Vorliebe an der „großen Zeit“ gemessen — (ein
Werk auf sich wirken läßt, im Nachgefühl oder im
Schlagwort, das nun vielfach von denselben Indi¬
Gespräch darüber einfach ein Betrachtender zu blei¬
niduen verspottet wird, die es damals für ihre
ben. Unnersehens wird er zum Kritiker indem er
Zwecke mißbraucht und zu Tode gehetzt haben)
an dem Werke seine Urteilskraft zu erweisen, seinen
ist nun das Schlagwort von det „versunkenen
Witz zu üben, sein eigenes Wesen zu messen sucht.
Welt“ aufgekommen, für die sich in Wirklichkeit kein
Der Naive tut das vorerst ohne jede, gewiß ohne
anständiger Mensch mehr zu interessieren vermöge,
jede übelwollende Absicht; aber auch in ihm kommen
und die daher künstlerischer Behandlung überhaupt
bald die angeborenen menschlichen Eigenschaften zu
nicht würdig sei.
ihrem Recht —: Eitelkeit und Besserwisserei der
War ober der Phrase von der „großen Zeit“
Drang vor sich selbst und vor anderen als der Ueber¬
immerhin noch eine Spur von Vernunft zuzu¬
so daß er im höheren Maße
legene dazustehen.
billigen, zum mindesten, wenn man sie in auanti¬
bereit sein wird, die schwachen Seiten eines Werkes
cht
tativer Hinsicht zu verstehen suchte, so ist die von
aufzuspüren, als dessen gute gelten zu lassen.
der „versunkenen Welt“ — mag sie auch von manchen
Und wir wollen diese allgemein menschlichen
sonst gescheiten Menschen gedankenlos nachge¬
Eigenschaften gerade demienigen übelnehmen, der
so völlig sinnlos und verrät
plappert werden
aus dem Kritisieren seinen Beruf gemacht hat.
eine so naive Auffassung vom Wesen volitischer.
sozialer, ethischer Entwicklung, kurz ein solches Mi߬
verstehen der Geschichte (— als wäre jemals im
Allerlei Schwächen, die wir manchmal geneigt
Laufe weniger Jahre eine Welt versunken und -
sind, dem Kritiker als Individuum anönkreiden,
nebenbei, als hätte der Dichter das Recht nicht, die
haben offenbar mit seiner Person, mit Mängeln
Gestalten einer versunkenen. auch einer eben erst
seines Charakters, seines Tasents oder seiner Ur¬
versunkenen Welt heraufzubeschwören —), daß es
teilskraft kaum etwas zu schaffen. Es drückt sich in
nicht lange dauern wird bis zu dem Augenblick, d
diesen Schwächen oft nur der immanente Geist der
wieder dieselben Leute das neue Schlagwort als
Kritik aus, ihre Erbsünde könnte man sagen, der
lächerlich verhöhnen werden, die heute noch ihre
jeder, der nun einmal diesen Beruf ausübt. un¬
geistige Ueberlegenheit zum großen Teil davon zu
weigerlich verfallen ist. Für die Richtigkeit dieser
bestreiten suchen.
bis dahin wird
Annahme scheint mir ein Beweis zu sein, daß auch
Aber wir dürfen ruhig sein:
Autoren (ja auch besonders solche), die sich über
diesen Wortschlägern schon wieder ein anderes, noch
erlittene Anariffe nicht heftia genug entrüsten
dümmeres eingefallen sein.
konnten, sohald sie selbst in die Gelegenheit kommen,
an dem Werke eines anderen Autors Kritik zu
—*
16.
Es mag dem Künstler begegnen, daß er mit seinem
Stoff lange Zeit so überlegen gespielt hat, wie ein
geschickter Jongleur mit seinem Ball: daß es ihm ge¬
lang, ihn aus den höchsten Höhen und fernsten Fer¬
nen immer wieder im rechten Augenblick mit ge¬
wandten Händen aufzufangen; — bis er ihm doch
einmal unversehens entgleitet, davonhüpft und in
irgendeinem Lebensgestrüpp verschwindet, aus dem
er sich niemals wieder hervorholen läßt.
17.
Wir sind allzu oft geneigt, unter einer trübe schil¬
lernden Oberfläche Tiefe zu vermuten: — und wenn
wir uns entschließen. nachzuvrüfen, reicht unser kleiner
Finger schon bis auf den Grund hinab. Eine klare
Oberfläche aber täuscht uns immer wieder Seichtig¬
keit vor. indem sie unserem abnenden Blicke gestattet
bis in eine Tiefe hinabzuschauen, die wir mit dem
Senklot des Verstandes niemals zu erreichen ver¬
mögen.
18.
Nur still geschwiegen. Autor — und keine Erwide¬
rung!! Die einzige, die du allen Angriffen entge¬
genstellen darfst. hast du schon vorweggenommen:
dein Werk. Wenn es dauert, hast du mecht behalten
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