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leche und Bedenken
3. Buch der Spr#
Rezensenten werden daher aufmerksam gemacht, daß Be¬
sprechungen, die nicht über Auftrag der Redaktion erstattet
wurden, in dieser Zeitschrift nicht erscheinen können.
Julian Borchardt: „Weltkapital und Weltpolitik“. Berlin
(E. Laubsche Verlagsbuchhandlung) 1927.
Ich erinnere mich an das prächtige Wort, das Stolper einmal
in einer Wahlversammlung den Sozialisten zurief: „Sie kennen
Ihren Standpunkt, und ich kenne meinen und Ihren Standpunkt!“
Borchardt scheint nicht einmal ganz seinen, gewiß nicht den
seiner Gegner zu kennen. Wie er sich die Ziele und Methoden der
Gegner des Kommunismus vorstellt, zeigt sein Schlußwort: „Nur
dann kann die Wirtschaft gesunden, nur dann kann das ewige
Vorauseilen der Produktion vor dem Konsum verhindert werden,
wenn der Konsum entsprechend gesteigert wird, so daß er alle
Produkte aufzunehmen vermag. Das kann er nur, wenn die Pro¬
duktion sich nach dem Bedarf orientiert. (Nach was denn orien¬
tiert sich die kapitalistische Produktion? Nur sucht sie eben den
Bedarf zu steigern und zu lenken und schafft gleichzeitig die
Grundlagen zu einer Befriedigung.) Das ist aber das gerade
Gegenteil dessen, was die kapitalistische Wirtschaft tut und, wie
wir gesehen haben, kraft ihrer inneren Natur auch tun muß. Die
Produktion nach dem Bedarf einrichten, dazu ist nötig, sie frei
zu machen von allen außerhalb liegenden Rücksichten, namentlich
von den Rücksichten auf Privateigentum und Profit. Dazu ist
nötig die planmäßige Bedarfsdeckungswirtschaft des Kommunis¬
mus.“ — Kommunismus heißt Vergesellschaftung der Konsumgüter,
im Gegensatz zum Sozialismus, der die Vergesellschaftung der
Produktionsgüter bedeutet. Der vergesellschaftete Bedarf ist aber
weder Antrieb für die Produktion noch zur echten Befriedigung
der persönlichen Bedürfnisse. Nichts ist daher für das materielle
Wohlergehen der Massen und für das subjektive Wohlbefinden des
Einzelnen verhängnisvoller als der Kommunismus in allen seinen
offenen und schleichenden Formen.
Hofmannsthal.
Arthur Schnitzler, Buch der Sprüche und Bedenken. Apho¬
rismen und Fragmente. Wien (Pfauen-Verlag) 1927.
Wieder ein nachdenkliches Buch des Psychologen und Philo¬
sophen Schnitzler, der zu allen Zeiten hinter dem Dichter Schnitz¬
ler einhergeschritten, wenn auch nicht immer von der Masse
erkannt worden ist. Aber beide waren doch wohl immer und in
jedem Werke eins, und eben darum erscheint dieses schöne Be¬
kenntnisbuch wie eine ernste Glosse zu des Dichters scheinbar
oft ganz weltverlorenem Werke. Wer den Dichter bislang nicht
kannte, der lernt ihn also kennen als einen in tiefster Seele
ernsten, gewissenhaften, seiner Verantwortlichkeit sich voll be¬
wußten, wahrhaftigen Mann, der redlich sucht. und nicht mit her¬
kömmlichen Redensarten sich zur Ruhe gibt oder um die schweren
Probleme sich herumdrückt, der nicht auf den glatten Wellen der
Geistesmoden leicht dahingleitet und mit billigen, schmeichelnden
Schlagwörtern sich betäuben läßt und selbst betäubt, als einen
Mann, der seine Ahnungen und Fragen nicht mit geliehenen Ant¬
worten zum Schweigen bringt, seine Beziehungen und Einsamkeiten,
sein Verhältnis zum Leben und zum Alltag, zu seinem Werk und
zu dessen Publikum und Beurteilern nach eigenem, persönlichstem
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