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edenken
3. Buch der Sprueche und
NUMMER 7
DIE LITER
BUCH-CHRONIK DEI
Ein Aphorismenbuch Schnitzlers
ARTHUR SCIINITZLER: „BUCH DER
„, Bewahre uns der Himmel vor dem „Ver¬
SPRUCHE UND BEDENKEN“
slehens. Es nimmt unserem Zorn die Kraft,
Phaidonverlag, Wien
unserm Haß die Würde, unserer Rache die
Ein Band Aphorismen, Reflexionen und
Lust und noch unserer Erinnerung die Selig¬
keil.“
Fragmente des berühmten Dramatikers und
Erzählers; Produkte der Lebenserfahrung eines
Unwahr. Das Gegenteil der Wahrheit. Der
Skeptikers und Psychologen vom guten Schlage
reinste Haß, der ungebrochenste Zorn ist der ##
der alten französischen Moralisten (— von
des vollen Verstehens, Jeder andere ist un¬
rein.
denen ja auch fast alles, was an Nietzsche
bleibend ist, abstammt).
Das sind die Gefahren des konsequenten
Subjeklivismus.
Erquickend und innerlich berechtigt als
Gegenspieler gegen eine allgemeine Zeit¬
Er mißversteht natürlich auch vollkommen
tendenz, die alle Lebenserkenntnis ausschlie߬
den Marxismus (den er definiert als „Pedan¬
lich oberhalb oder unterhalb der subjektiven
tismus, der die Menschenliebe mißversteht“):
Lebenserfahrung, niemals in ihr selbst sucht:
weil der Marxismus eben eine über-subjektive
man denke an die Psychoanalyse, an die Indi¬
Erfahrungswissenschaft ist. Des Menschen
vidualpsychologie, an die Soziologie von der
Leben ist kurz. Der weise und feine Arthur
nationalistischen bis zur marxistischen These.
Schnitzler wird nicht von uns fordern, daß
Er hat alle Vorzüge und alle Nachteile
wir um seinelwillen auf den Versuch ver¬
solcher „persönlichen Dokumente“. Da sind
zichten, das Material der Lebenserkenntnis viel¬
die äußeren Avantagen eines schillernden und
leicht doch über die Erfahrungen eines kurzen
fließenden Lebensspiegels: daß manches inter¬
Menschenlebens hinaus zu vergrößern.
essanter scheint als es ist, weil es von einer zu¬
Ich muß vielleicht nicht erst hinzufügen,
fälligen interessanten inneren Lebenssituation
daß mich dieses grundehrliche, menschlich
reflekliert wird; — und daß dieses Inter¬
reine, oft wirklich tiefsinnige Buch ganz un¬
essante dann natürlich blos intessant ist,
gemein interessiert hat — und daß ich jedem
d. h.
ohne wirkliche Fruchtbark'est. Aber
Leser dasselbe prophezeie.
W. I.
da ist auch der höchste Wert solcher Doku¬
mente: daß sich alles doch zuletzt allein im
Menschlichen des Aufors selbst als werlvoll
oder werllos entscheidet; und daß eben¬
dlieses Menschliche als wertvoll, nobel, skep¬
tisch-phrasenlos sichtbar wird. Es fehlt diesen
Reflexionen der Tiefsinn großer innerer Sland¬
punkte, die etwa Larochefoucauld hat; aber
sie besilzen oft die Hellsichtigkeit großer,
d. h. lebensbestimmender Stimmungen, wie
es z. B. gewisse Etappen der sexuellen Liebe
sind. Diese Lebensmotive sind ja durch den
konsequenlen Sozialismus längst widerlegt, lei¬
der nur werden sie inkonsequenterweise durch
jedes Verbrechen und jede tolle Tat aus
unglücklicher oder glücklicher Liebe wieder
bestätigt; und so wird man wohl diese ganze
subjektivistische Philosophie bis auf weiteres
noch akzeplieren müssen.
Immer aber steht alles auf des Messers
Schneide —; manchmal balanciert es; ein
andermal rutscht es schon ein wenig in die
sogenannten „interessanten Gesichtswinkel“ ab.
Zwei Beispiele, die fast untereinanderstehen:
„Wem die Gabe der Gerechligkeit verliehen
ist, ohne die übrigen göttlichen Eigenschaf¬
ten, Allmacht und Allweisheit, der ist übler
dran, als der Ungerechte; denn er ist zur
Selbstzerstörung bestimmt.“
Das ist ausgezeichnet. Aber gleich darauf
wird es forciert und verliert das Gleich¬
gewicht:
or
I