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edenken
3. Buch der Sprueche und
Dr. Max Goldschmidt
Büco für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Teleion: Norden 3051
Neue Leipziger Zeitung
harft“
2 S. 36l. 1627
Bemerkungen
Von Arthur Schnitzler
Jede Art von künstlerischer Produktion fordert—
mit Notwendigkeit Kritik heraus. Denn es liegt
im Wesen der Produktion, sich Schöpferwillen und
Schopferkraft und damit in gewissem Sinne Göttlich¬
keit anzumaßen. Und da das Göttliche ein Absolutes,
doch jede Art, auch die höchste, der künstlerischen
Produktion immer nur ein Relatives vorstellt, so hat
die Kritik im Prinzip immer recht; doch in der
Praxis oft auf eine recht wohlfeile Weise und bei¬
nahe stets am unrechten Ort.
*
Auch der Dilettant hat zuweilen Einfälle, die
selbst den Anspruchsvollen zu verblüffen imstande
sind. Aber im Gegensatz zum Künstler vergißt er
meistens, daß der Einfall nichts ist als notwendige
Voraussetzung, und oft nichts anderes bedeutet als
eine Versuchung, die auch in den Abgrund führen
kann. Worauf es ankommt, bleibt aber, zu wissen,
welche Entwicklungsfähigkeiten in einem
Einfall vorhanden sind; zu fühlen, wann der Augen¬
N.
blick gekommen ist, eine dieser Moglichkeiten in Wirk¬
lichkeit überzuleiten, und wenn dieser Augenblick aus
irgendwelchen äußeren und inneren Gründen nie¬
mals erscheinen will, auch das Herz zu haben, ihn zu
verstoßen, wie ein ungeratenes Kind.
Dem Humoristen wird es auch im aufgeräum¬
testen Moment niemals einfallen, sich mit seinem
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Publikum zu encanaillieren. Nur der Wighold ist es,
der gerne vertraulich und Beifall werbend ins
Parkett oder zum Leser hinüberblinzelt und jederzeit
bereit ist, auch eine Gestalt, die er selbst geschaffen,
zu verraten und feig im Stich zu lassen, wodurch er
die mediokre geistige Atmosphäre schafft, in der allein
er zu wirken vermag.
Innerhalb des Grotesken ist es niemals mög¬
lich, die Vollendung zu erreichen, ja unsinnig, sie an¬
zustreben. Denn während sowohl das Tragische als
das Komische auch bei höchst gesteigerter Intensität
innerhalb des Endlichen beschlossen ist, weist das
Groteske ins Grenzenlose und schließt sich so selbst
von der Kunst aus.
Aus dem bisher unveröffentlichten Buche
„Sprache
und Bedenken“ (Vorlag Paul Zsolnay#
Wien).
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