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der Tat

ist in
Der Geist in Nort und der Ge
gesagt, daß mit diesen Typen keine Wertung,
im ununterbrochenen Strömen— und hier hat
sondern ausschließlich eine Kategorisierung be¬
eine gewisse Willkürlichkeit statt.
absichtigt sei, daß oben und unten nur graphische
Jeder positive Typus ist seinem Gegenbild un¬
Bedeutung hätten. Aber ist ein System der Men¬
lösbar tragisch verstrickt —. Einfachheit bleibt ein
schen, das aufwärts über den Propheten zu Gott,
Ideal, das an der Vielheit der Welt gebrochen
abwärts über den Bösewicht zum Teufel führt,
wird. Der positive Typus kann sich in seine Ne¬
nicht Wertung? Ja der Wille zum Ethos liegt ganz
gation „verkleiden“, und umgekehrt spielt sich der
offensichtlich als treibende Kraft zugrunde —
negative als seinen höheren Gegenpol auf, vermag
„das positive Dreieck stellt das Reich der Wahrheit,
die Welt und vielleicht sich selbst zu täuschen —
das negative das der Lüge dar“, den Menschen
„niemals aber wird ein solcher Trug dauern“.
werden die „Un=Menschen“ gegenübergestellt. —
Treuer Glaube an die Menschheit spricht aus
Auf Bedenken gegen einzelne Typen kommt wenig
alledem, wer die Fragwürdigkeit aller Men¬
an, man hat auch zu erwägen, daß es sich nur um
schen kennt, wird ihr Hohes um so inbrünstiger
zwei Gruppen handelt, um die Menschen des
lieben — wenn er nicht selbst der unteren Welt ver¬
Wortes und die Menschen der Tat, nicht also um
fallen ist.
musikalische oder bildnerische Naturen (ich möchte
Eigentümlich ist die Scheidung, die zwischen einer
freilich meinen, daß der Mensch, der gestaltend
Geistesverfassung und der ihr entsprechenden,
schöpferisch ist, einem einzigen großen Typus zu¬
aber nicht immer verbundenen Begabung gemacht
gehört; zumindest könnte in einer Skizze der
wird, etwa die Geistesverfassung des Dichters und
Charakterologie die Wegrichtung zu jeder Menschen¬
seine Begabung. Man könnte geradezu echte
art angedeutet sein). Auch wie die Geistesver¬
Dichternaturen mit auffallend geringem Talent
fassungen in Frauen zutage treten, wird nicht er¬
und große Talente mit wenig tief gehender Ver¬
wähnt. Aber alles dies ist unwichtig. Dos absoiute,
ankerung historisch erkennen — ob man bei letzteren
fast theologische Wertsystem, das hier versucht ist,
aber nicht in die von Schnitzler dem Dichter polar
bedeutet eine respekteinflößende Ergänzung zum
entgegengestellte Geistesverfassung des „Litera¬
Dichtwerk Schnitzlers, ein fest gezimmertes Gerüst,
ten“ geriete?
das der von seelischer Fülle überflutete Dichter¬
In einem Punkt freilich scheint mir der Gedanken¬
geist zur eigenen inneren Klärung braucht.
bau widerspruchsvoll zu sein: Am Anfang wird
Annie Vivanti
Von Gustav Wolff (Locarno)
der englischen Jugend und Erziehung. Der größte
Annie Vivanti ist die in Deutschland unbekannteste,
Teil ihrer Romane spielt in England. Ihre Helden
in ihrer Heimat gelesenste und berühmteste ita¬
und Heldinnen sind meistens Engländer, oder sonst
lienische Dichterin. Ihr Vater war ein italienischer
Nordländer, und vor allem der Geist ist ohne
„Patriot“, ihre Mutter eine Deutsche (Schwester
Zweifel sehr stark nordisch beeinflußt, trotzder außer¬
von Paul Lindau), ihr Mann ist ein irischer „Sinn¬
ordentlichen Lebhaftigkeit und Beweglichkeit ihrer
feiner“ und ihre Tochter war mit einem Schotten
Natur. — Ich sage nordisch und nicht englisch,
verheiratet — sie selbst ist geboren in London und
denn es sind mehr als Spuren ihrer deutschen
erzogen in der Schweiz und Amerika. Man sieht,
Abstammung deutlich zu merken. Nicht nur eine
eine stattliche Völkermischung. Und die macht sich
vollkommene Beherrschung der deutschen Sprache
in den Werken der Dichterin auch bemerkbar.
ermöglicht ihr das — es wirkt z. B. unendlich echt,
Wie sie, die große Meisterin der italienischen
wenn der verfolgte Belgier plötzlich zitiert: „Die
Sprache, eine ganz unverkennbare „englische Aus¬
Flundern, die Flundern, die werden sich wundern“
sprache“ hat, was sonderbar genug wirkt, so ent¬
es muß auch ein großes Stück deutschen Wesens
halten auch ihre Arbeiten ganz deutliche Spuren
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