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3. Dae verseelen
Figuren oder Handlungen, sondern er berechnet so daß sie eher einen Mechanismus darstellen
sie zumeist oder es scheint, als ob er sie be= als ein Motiv oder ein Resultat.
rechne. Seiner führenden Gewalt enträt der Gleichwohl spürt man in jeder Zeile dieses
Leser kaum einen Augenblick. Er weiß, daß Autors ein Herz voll Liebe, einen Sinn voll
er überrascht werden wird, aber es ist nicht Deuterkraft, eine Seele, mit Leben reich be¬
immer angenehm, unter so genauer Kontrolle gabt, erfüllt mit der Kenntnis der Welt. Da
überrascht zu werden. Obwohl alles, was ist ein Dichter, der Visionen hat; leider raubt
hin meisterhaft ist und jede Einzelheit in einem Gestalten, aber sie wachsen ihm nicht eigen¬
genau abgegrenzten Verhältnis zum Ganzen lebig heran, er, gleichsam voll moralischer Un¬
sieht, verlangt es den Leser oft nach etwas, geduld, bannt sie zu frühe ins Spiel und —
was ich das Chaos der Fülle oder der Breite sie spielen oft statt zu leben, sie spielen mit
nennen möchte, etwas, das die Freiheit gegen ihrem Schöpfer, während ihr Schöpfer mit
die Notwendigkeit stellt und was sich durch ihrem Schicksal spielt. Sie haben oft kein
keine noch so scharfsinnige Okonomie ersetzen Gesicht, sondern nur Gebärde, keinen Leib,
läßt. Und so wie das Detail allzufest an den sondern nur Umriß. Wir ahnen einen gü¬
Stoff gebunden ist, so ist der Stoff wieder zu tigen, reinen, leidenden Menschen, dem die
stark dem Autor verpflichtet, — so sehr, daß Kunst zunächst nur Mittel ist, und dieser
der naive Leser sicherlich oft das Bedürfnis Umstand allein drückt bisweilen seine Welt
empfindet, eine kleine freundschaftliche Unter= unter die Sphäre allgemeiner Glaubhaftigkeit
redung mit dem Verfasser herbeizuführen und und Sachlichkeit.
ihm einfältige oder philosophische Fragen vor¬ Das wären Einschränkungen. Aber was
zulegen. Durch eine eigensinnige Neigung zur wollen sie besagen gegenüber den Vorzügen
Groteskerie bei gewissen Figuren und Gelegen= eines Schriftstellers, der uns durch jedes seiner
keiten scheint der Dichter, seinen Mangel un= Produkte aufs liebenswürdigste anzieht und
bewußt bekämpfend, einen Ausgleich geben zu wahrhaft fördert? Seine Einfälle sind origi¬
nal, sein Stil ist lebendig und voll natürlicher
wollen, aber er verschiebt dabei das sach¬
liche Interesse noch mehr ins Stimmung= Rhothmik, die Architektonik seiner Werke voll
hafte, ja Launenvolle und verzerrt nicht künstlerischer Weisheit, sein Artisientum wie
selten durch einen witzigen Einfall eine ruhige sein Menschentum von hohem Rang. Wären
die Deutschen weniger nörglerisch als dankbar,
Realität.
„Die Weissagung“ gehört zu den best= wären sie, und besonders jene gewissen von
erzählten, der „Freiherr von Leisenbohg“ zu der Gilde, die, um ihre Entwicklung an den
den geistreichsten, ja sonderbarsten Geschichten, Tag zu legen, heute mit Füßen treten, was
die ich kenne. Aus beiden Werken blickt uns sie gestern zum Himmel hoben, weniger hoch¬
das Antlitz eines echten Mannes entgegen, mütig als einsichtig, wären sie Leute von
und es liegt an der Haltung, an der Gebärde, Manieren und Gerechtigkeit, sie könnten ihre
am Tonfall beider, daß der angeregte Leser Bewunderung, ihre Liebe einem Dichter nicht
sich diesem Dichterantlitz mit jenen Gefühlen entzieben, dessen Kunst mit der eines Merimee
der Neugier und der Verwunderung zuwendet, wetteifert, der im schönsten Sinn national
von denen oben gesprochen wurde. Er ist bei und im rührendsten menschlich ist.
der einen eher amüsiert als ergriffen, bei der
Jakob Wassermann
andern eher überredet als überzeugt, aber er
ist unter dem Bann einer beispiellos sanften
Hand, die spielend ihre nicht gewöhnliche
Jakob Burckhardts(?) Brief über
Macht über die Gestalten übt, — eine zu
Berlin
große Macht vielleicht im Vergleich zur Schwere
den folgenden Brief schrieb ein Baseler
des Stoffes, der allerdings voller Rätsel steckt,
Student, der sich K. unterzeichnet,
welche jedoch ausschließlich in der Pfochologie
wurzeln und daber gar zu determiniert bleiben, an eine Dienerin des väterlichen
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