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3. Dath
box 3577
rseelen
stil, eine naive Natürlichkeit, die nicht frei von Nervosität ist und
ein Stil, der ab und zu schon an Manier streift: es muß einem
Literaturschalk fast auf die Finger brennen, diesen bereits etwas
starr gewordenen Hessestil zu parodieren. Manier ist sicherlich die
starke Anthropomorphisierung in den Naturbeschreibungen, so
wenn er schreibt: „Erste scheue Blitze rissen zuckend durch das
schwärzliche Grau“ oder „der Regen quoll in leidenschaft¬
lichen Stößen aus den Mündungen der Traufen“. In allem
bedeutet sein Stil eine wirksame Ueberwindung des naturalisti¬
schen Romanstiles.
Für die beste Erzählung des vorliegenden Buches halte ich
unbedingt „Die Marmorsäge“; danach kommt direkt der köstliche
„Lateinschüler". Trotz der entzückenden Feinheiten im letzten
Teil kann ich „Heumond“ nicht so hoch stellen; das Reinmensch¬
liche dieser Erzählung scheint mir nicht zwingend genug, das Er¬
wachen aus dem erotischen Unbewußten nicht so einfach vor sich
zu gehen. In „Aus Kinderzeiten“ stört ein seltsamer und
keineswegs angenehmer Kontrast des hier und da Ludwig Thoma
abgeguckten Bubenstils und der schönen übervernünftigen Dinge,
die in diesem Stil gesagt werden.
Schnitzler ist eine ganz andere Erscheinung als Hermann
Hesse; hier natürliche Naivität mit Kunststil, dort künstliche
Naivität erzeugt durch fein vollzogene Häufungen von Kunsttricks.
Der Schnitzler dieser Novellen ist nicht mehr der Schnitzler des
„Reigen“; er ist wehmütiger und dabei ironischer geworden; er
ist in die Mitte zwischen „Liebelei“ und „Sterben“ auf der einen
Seite, „Anatol“ und „Reigen“ auf der anderen Seite geraten.
Kein Witz und auch kein Humor: superiore Nachdenklichkeit, von
der er von Anfang an ein gutes Stück sitzen hatte. Seine Sehn¬
sucht nach Natur und Natürlichkeit ist immer mit intensivster und
sorgfältigster Kunst gepaart. Aber bereits wird er leise karikatu¬
ristisch — man merkte es schon in seinen zwei letzten Dramen —;
er leistet sich unnötige Charge und blinzelt nach einem merk¬
würdigen Mystizismus hinüber.
Was im speziellen Schnitzlers Novellenkunst anbetrifft, so
Zwei neue Novellenbücher.
bin ich sicher, daß er ein mittelmäßiges, sogar ein schlechtes
Drama schaffen kann, eine mittelmäßige Novelle aber in keinem
Von Franz Clement (Luxemburg).
Fall, so stilsicher ist er. Besonders in diesem Band, wo alle
Das eine ist von Hermann Hesse und heißt „Diess
spielerische Erotik fehlt, hat sein Stil sehr viel Mark; man spürt
seits“; das andere ist von Arthurenitler und heißt
fast etwas wie Schulung an Kleist und Halm.
„Dämmerseelen“, beide sind erschienen im Verlage von S. Fischer
Für die beste der fünf Novellen halte ich „Das Schicksal des
in Berlin. Zwei alte Belannte also.Und=leider=s###
Freiherrn von Leisenbogh“; in der man ehrfürchtig wird vor der
zu wenig von guten neuen Büchern, die von alten Bekannten
Pfychologischen Bravour, mit der alles das vorgetragen wird; es
kommen, weil man bei unserer wirklichen Sehnsucht nach Neuem
gehört schon außerordentliche Gestaltungskraft dazu, diese sonder=,
nur Zeit hat für die, die aus dem Dunkel der einsamen Dicht¬
fast wunderbaren Voraussetzungen in Konsequenz und Nealis¬
stube ans Zeitungs= und Zeitschriftenlicht gehoben werden wollen.
mus darzustellen. Wie Worte und Namen zu Dingen und
Man täte hier doppelt Unrecht, weil diese beiden neuen Bücher
Taten werden, das ist der tiefere Sinn dieser kuriosen Geschichte.
ihre beiden Dichter zum mindesten in veränderter Beleuchtung,
In der zweiten Novelle, der „Weissagung“, kann man mit
teilweise auch mit einigermaßen verändertem Kern zeigen.
etwas Mühe Stiftersche Einflüsse nachweisen, wie denn über¬
„Diesseits“ ist Hermann Hesses erster Novellenband; er nennt
haupt Schnitzler von allen österreichischen Dichtern der Gegen¬
die gesammelten Stücke aus einem richtigen Gefühl heraus „Er¬
wart am meisten in der österreichischen Tradition bleibt. Man
zählungen“, denn der Komposition der eigentlichen Novelle liegt
bewundert hier ebenfalls die erstaunliche technische Ueberlegen¬
seine Art fern. Eine Stilverschiedenheit zwischen dem „Peter
heit; nur erscheint einem das Spiel mit dem Wunderbaren etwas
Camenzied“ und „Unterm Rad“ einerseits und der hier zu be¬
billig und zu sehr zu einem reinen Artistentum hinzudrängen.
sprechenden Neuerscheinung besteht gar nicht. Die Komposition
Eine in ihrer Einfachheit wundervolle Novelle ist „Das neue
ist hier wie dort gleich schlaff, und bei Vorhandensein von wirk¬
Lied“, analytisch in der Technik und meisterhaft in dem die ge¬
licher Steigerung der Handlung gleich sorglos gehandhabt. Was
heimen menschlichen Untergründe unforciert aber sicher aufdecken¬
Hesses Dichtungen so starke Wirkung gibt, ist eine Qualität, die
den Dialog. Kein Hineinkomponieren, ein förmliches Wachsen
nur mit einem abgenutzten, fast schal gewordenen Begriff be¬
und machtvolle Stimmung. Man spürt die wirkliche Ergriffen¬
zeichnet werden kann: er hat Poesie, unendlich viel Poesie, dazu
heit und bewundert gleichzeitig die aparte, aber nur scheinbar er¬
persönliche, innerliche, moderne, obschon auch etwas romantische
künstelte Seelenabrundung. So was kann heute fast nur Schnitz¬
Poesie, die erreicht wird ohne Zuhilfenahme verbrauchter poeti¬
ler machen.
scher Requisiten. Und diese Poesic fließt aus seiner wirklichen
In der kurzen Skizze „Die Fremde“ ist Maria, blindes Schick¬
Liebe zu den Menschen und Dingen, aus seinem starken vollsinn¬
sal. Wiener Luft mit eigenartigem Katholizismus, schwermütige
lichen Verhältnis zur Natur. Hesse ist, wenn man den Namen
Leichtfertigkeit, wie K. H. Strobl einmal treffend über Schnitzler
nicht eng faßt, im Grunde ein Idylliker, und alle Lebensgegensätze
sagte. Hier hat Saar Einfluß geübt; die symbolistische Gestaltung
dienen ihm augenscheinlich dazu, die idyllischen Zustände desto
ist freilich moderner, Stellen, wie die hier folgende, sind einzig
stärker hervortreten zu lassen. Das Psychologische steuert bei ihm
im Stil: „Die Linke auf den Degen gestützt, blickte der erzene
einzig und allein auf dieses Ziel zu. Hesses Art ist eine auf¬
fallende Vermischung von großer, ursprünglicher Naivität mit Kunst= Held wie aus ewigen Augen vor sich hin. Seine Haltung war
von erhabener Müdigkeit, als sei er sich zugleich der Größe und
der Zwecklosigkeit seiner Taten bewußt und als ginge sein ganze¬
Stolz in Schwermut unter.“
Bei der Lektüre des letzten Stückes der Sammlung, des über
legene Ironie atmenden Abschiedsbriefes Andreas Thameyers
begreift man am besten den Titel „Dämmerseelen“: halb wahn
sinnige, in Zweifeln gebundene; deshalb blendet zu viel Licht un
zu viel Dunkelheit sie gleichermaßen.
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