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3. Da.. seeien
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Mrrlichen Leden ertebt.
Voller verwandten Problemen und Stimmungen ist
Schnitzlers letztes Novelleubuch „Dämmerseelen“ (Berlin,
Fischer, 1907 M. 2•—).
Das Leitmotiv Schnitzlers tönt auch durch diese
Dichtungen: „Das Leben ist nichts als ein Spiel von
Marionetten.“ Es ward vielleicht noch niemals von ihm
mit gleicher Deutlichkeit gestaltet. Die Menschen sind
ihm Puppen an der Hand eines Puppenspielers, der
irgendwo im Raume wohnt und aus dem Unsichtbaren
an unsichtbaren Fäden ihre Wege und Bewegungen
lenkt. Die Menschen dieses Buches spüren die Drähte,
die in ihre Seelen hangen, sie bohren sich in das Fleisch
ihrer Seelen ein, und sie leiden. Ueberirdisches ragt in
sie hinein: so sind sie nicht völlig heimisch auf der
Erde, und sie sind nicht heimisch im All, denn sie wan¬
deln menschlichen Leibes unter Menschen. Sie sind
Fremde hier wie dort — „die Fremde“ heißt eine Er¬
zählung — Wesen aus Grenzländern, wohin vom Tag
der Zeitlichkeit und von der Nacht der Ewigkeit Licht
und Dunkel geworfen wird: Dämmerseelen.
Katharina, „die Fremde“ geht traumhaft=triebhaft
dahin, willenlos, einsam, entferntes Gescheben im Traume
schauend. Man denkt an manche der prachtvollen Verse
aus Heyses „Salamander“:
„Ich bin nicht recht von dieser Welt ein Stück ..
Ich bin kein Taggeschöpf Mir aber ist das „Zwischen¬
reich beschieden.
Das Zwischenreich: das Dämmer.
Ein Fluch vollenr. „das Schicksal des Freiherrn
von Leisenbohg“. „Die Weissagung“ geht in Erfüllung.
Alles Grausige dieses Buches ist mit vollkommener
Ruhe und Sachlichkeit dargestellt.
Hinter dem ernsthaften kosmischen „geistlichen“
Schicksalskünder erkennt man aber hie und da den
heiteren, weltlichen Wiener Ironiker. Ironie wirkt heraus
aus diesem Gegensatz zwischen der Fürchterlichkeit des
Dargestellten und der Gelassenheit der Darstellung.
Schnitzler erscheint hier bisweilen als Amateur des
Spiritismus und Okkultismus: er trägt, wie ein Abbe
des XVIII. Jahrbunderts, mit gemessener Eleganz jen¬
seitige Lehren vor, die ihn im Innersten nicht bewegen.
Welt hat für ihn ganz besonders den doppelten Sinn
des Sprachgebrauchs: Weltall und (elegante) „Welt“.
Weltallprobleme werden auf weltmännische Art vor¬
getragen.
Bisweilen aber spürt man auch tiefes Erleben dieser
Dinge. „Sind wir ein Spiel von jedem Druck der
Luft?“ Diese Frage ist der ietzte Sinn von Beer=Hof¬
manns „Graf von Charolais“, in Schnitzlers „grünem
Kakadu“ und im „Paracelsus“ klingt etwas hievon und
erzittert bisweilen in diesen Novellen.