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rremenr
gevaluttanar sich gebardeten, wie damne Jung Berlss und
Jung=München, auch seinen vorurteilsvollen Gegnern, daß sie
ihn zum festlichen Tage weidlich betintenklext und bewertet
haben. Und auch die Liebe hat ihr: Rosenfeste gefeiert und
an den süßen Bechern des Festjubels sich berauscht, Beweis ge¬
nug, daß Arthur Schnitzler eine Dichter=Erscheinung ist, um die
das Blut der Zeitgenossen sich erhitzen kann, indessen er selbst,
fern jedem Fest= und Kampfgetümmel und unbekümmert um
Massen= und Tagesstreit, einsam in üppiger Fruchtbarkeit seine
feinen, stimmungsreichen, klingenden, leidigen und lustigen Ge¬
schichten schreibt, teils in knapper Fassung, teils breit aus¬
holend, teils in der derben und hellen Wirklichkeit
wurzelnd, teils aus dem halbdunkeln Dämmerreich der Seelen
schürfend, wie es dem Arzt und dem gründlichen Psychologen
sich offenbarte.
In irgend einem stillen, bunten Familienblättchen fand
das Urteil des lieben Meinungsmachers, der seine artigen
Leser mit schwachprozentigen Geisteslösungen chloroformiert,
die kompromißlichen Vokabeln, Schnitzlers Kunst sei müde und
krank. Wir müssen vor dieser geschlossenen Schranke der Tor¬
heit einen kleinen Umweg gehen. Als Nietzsche nach der
leidenschaftlichen Umkehr seiner verehrenden Jugendinstinkte
gegen den großen Gegenstand der Wagnerischen Kunst sich
wehrte und den Heiland seiner Jugend zu stürzen sich vermaß. —
er unterlag und Wagner blieb Sieger —, da nannte er den
einst vergötterten Helden den „Künstler der Decadence“ und
er proklamierte als den obersten Satz seiner feindlichen Ent¬
deckungen die Lehre: Wagners Kunst ist krank, Wagner selbst
ist eine Krankheit, „Wagner est une névrose“. Was soll das
heißen? Nietzsche empfank eine Gesamt Verderbnis
des Geschmackes bei Wagner, diese noch dazu zum maß= und
richtunggebenden Gesetz erhoben; er nennt die Probleme, die
Wagner auf die Bühne stellt, „Hysteriker=Probleme“, seine
Helden und Heldinnen eine „Kranken=Galerie“ und schaudert
vor dem „Konvulsivischen“, des Wagnerischen Affekts, seiner
„überreizten Sensibilität“, dem „Proteus=Charakter der De¬
generescenz, der hier sich als Kunst und Künstler verpuppt.“
Alles zusammen, Mensch und Werk, Mittel und Gegenstand
der Kunst, stellt ihm bei Wagner ein Krankheitsbild dar, das
keinen Zweifel läßt. Nietzsche ist den schwachen und unsichern
Kantonisten der Federzunft der Verführer zum Schlagwort ge¬
worden. Die apodiktische Wucht und Sicherheit, der Klang
seiner üppigen, verführerischen Rede lockt in das Trugland
matter Nachahmung. Mit seinem prangenden Pathos donnert
der widerstandsn fähige Schreibersmann nicht selten die eigene
Dünne seiner Sprüchlein auf. So leitet sich von ihm auch das
oft unverständig angewandte Schlagwort von der Dekadence, von
der Gesamt=Erkrankung des modernen Künstlers her. Was
nicht im Alltags=Einmaleins der Gewöhnlichkeit aufgeht, was
als unbequem empfunden wird und außerhalb der Massenord¬
nung lebt ist „modern“ und morbid und wird mit übelriechen¬
dem Mitleid ins Medizinische verwiesen. Aber man ver¬
wechsele doch um des lieben Kunsthimmels willen gerade bei
dem gerechten Richter und Dichter Schnitzler nicht in heilloser
Verwirrung die Mittel und die Gegenstände seines Schaffens!
In völliger Objektivität lebt der Dichter auf der Höhe seiner
klaren Beobachtung und sieht in den „gleichmäßig abgedrehten
Tausendspersonen“ die Besonderheit des Wesens und der Form,
das Schicksals=Schwere eines Lebens, die aus dem Unbewußten
und Unsinnigen sich aufreckenden inneren Mächte und Triebe.
Das Lied vom Lieben und Sterben und von der Untreue, das
Schnitzler so oft und gern in immer neuen Variationen uns
singt, führt wohl eine schmerzliche und oft schwermütige Me¬
lodie. Aber die Kunst dieses Melodierens ist so wach und klar
und in Gesundheit quellend, daß kein Kundiger die viel mi߬
deuteten und fälschlich diagnostizierten Niedergangs=Symptome
an Schnitzlers Werk entdecken wird. Wir reden hier nur von
den erzählenden Schriften. Das Empfinden von den Wonnen
und Leiden des Lebens, vom Grauen des Todes, die Weisheit
in den Entdeckungen innerer Zusammenhänge, das verstehende
Lächeln beim Zwang des Blutes, das Ahnen höherer Mächte,
die jenseits aller wissenschaftlichen Erforschung walten, der
nicht genug erkannte tiefe Humor im Werk; es sind Quellen
der Erkenntnis, Stimulantien zum Leben. Wie hell und scharf
und unbeirrbar ist diese Kraft der Seelenanalyse, wie wunder¬
voll kultiviert und rein entwickelt ist Schnitzlers Stil! Der
eigene volle Klang einer wissenden und geklärten Menschlich¬
keit tönt uns aus seinen Worten entgegen und seine Worte
haben den unverkennbaren Rhythmus der echten Künstler¬
Begabung. Das Wort ist in Dialog und Schilderung so sicher
treffend und von durchsichtiger Klarheit, daß der reine Tonfall
einen Auserwählten in der Kunst der Sprache erkennen läßt,
indes das halbe Können und das halbe Wissen durch dürres,
aufgehäuftes Wortgestrüpp auf verschnörkelten Satzpfaden un¬
sicher einherstolpert. Dasist untrüglich. Von Schnitzlers
Sprache aber kommt der Leser mit einem feineren Sinn für
Nuancen und mit entzücktem Ohr zurück, mit der Freude an der
Klarheit im Wortgebäude und an dem wundervollen Ver¬
mögen, mit feinem Geschmack die Pointe abzurunden, scheinbar
sorglos und ohne mühselige Arbeit. Und doch erfordert gerade
diese Seite des künstlerischen Gestaltens eine straffe Zucht, ein
sicheres Gefühl und Gehör und eine immer frische, rastlose Auf¬
merksamkeit. So entwickelt sich bei Arthur Schnitzler der per¬
sönliche Zauber, wie bei Thomas Mann, wie bei Fontane, wie
bei Geijerstam.
Einzelnes aus der reichen bisherigen Lebensleistung be¬
Lurf der besonderen Beleuchtung. Das Gesamt=Wesen des Dich¬
ters enthüllt sich für mich am klarsten in der Erzählung vom
Schicksal des Freiherrn von Leisenbohg: Thema, Delikatesse des
Stils, geschmackvoll reservierter Humor ohne Gewaltsamkeiten!
und Übertreibungen. Ein echtes Schnitzler=Kunstwerk. Mit
wenigen, sicher hingesetzten Strichen stehen die Figuren in der
Landschaft. Der arme, im Schatten der Sehnsucht und seiner
tragischen Treue hinwelkende Aristokrat, der immer zu spät
dem Sehen und der Freihent
ihm sterben. (So gebietet es ihre liebende, ahnungslose In¬
gend. Wie immer! Treue bis in den Tod! Geliebter!) Doch
als' es wirklich ans Sterben geht, verlangt Er gebieterisch das
versprochene Opfer, in gräßlicher Angst, allein zu sterben. Sie
aber drängt, von Entsetzen geschüttelt, ins blühende Leben
zurück, sie will nicht sterben sie will atmen und sein. In einer
erschütternden Nachtszene ringen Leben und Tod. Die künst¬
lerische und menschliche Wirkung, die Schnitzler schafft,
außerordentlich. Hier hat der Arzt mit scharfem Blick be¬
obachtet und der Dichter im Arzt hat aus der Wissenschaft ein
Die fortschreitende
großes und ernstes Kunstwerk geboren.
Krankengeschichte und die enthüllte Seele in ihren Zuckungen
von Angst und Hoffen sind mit ungeheurer Deutlichkeit zur
Anschauung gebracht. Aber das Kunstwerk bringt Befrei¬
ung. Da liegt das erhabene Schlußelement dieser Schöpfung.
Auch im „Leutnant Gustl“. Es wirkt, mag auch die Zunft¬
Theorie eine andere Lehre vertreten, am Ende doch befreiend,
daß der rasche, bunte Knabe nicht dem rohen Zorn eines
apoplektischen Bäckermeisters sich opfern muß, befreiend um
Vaters und Mutters und der lieben Schwester willen, auch
um der Menschlichkeit willen, die nur dem allernatürlichsten
Empfinden folgt. Der aufmerksame Leser wird bewundern,
wie in der nächtlichen Selbst=Zwiesprache, dem scheinbaren
Durcheinander wirrer Gedankenbrocken und Gefühlsfetzen mit
geschickter Darstellungskunst das ganze bisherige Leben des
planlos durch die Nacht Taumelnden sich offenbart. Und ein
Freiwerden aus den Banden irrenden Blutes bedeutet letzten
Endes auch die Erzählung von Frau Berta Garlans viel ver¬
kannter Weibesart. Sie ist in ihrer jungen Witwenschaft das
rührende Opfer heißen Jugendsehnens, das sie überstürzt ge¬
rade in den letzten drängenden Tagen vor der klärenden Er¬
lösung. Die Jugend steigt empor aus den alten, gilbenden
Papieren, ein Liebes=Erinnern nach den schalen Jahren einer
glatten, gleichgültigen Ehe, das Herr wird über ein junges
Herz, das noch immer in echter Liebe, wie es wohl wähnt,
dem gefeierten Künstler gehört. Von hier aus erklärt sich
alles. Und Frau Berta findet sich und ihren rechten Weg,
als sie den Ersehnten klar erkannt hat, mit solcher Sicherheit
wieder, streift die Hülle menschlichen Irrens so tapfer von sich
ab, daß alle Schatten verwehen und nie, wie es wohl schon ge¬
schah, jenes häßlich=verurteilende Wort sich hervorwagen sollte,
das nur ekler Gier, der blanke Vorteilssucht sich paart, gebühren
kann. Ganz menschlich echt, in wundervoller Natürlichkeit sich
gebend, ist dieser Wechsel in den Entschlüssen und Empfin¬
dungen von Unruhe, Zweifeln, Hoffen, Zürnen und Ver¬
zeihen, das Anlehnungsbedürfnis an die erfahrenere Frau, das
weiche Mitempfinden, bis in den Tiefen dieser guten Seele
die klare Erkenntnis siegreich wird, „daß sie nicht von denen
war, die, mit leichtem Sinn beschenkt, die Freuden des Lebens
ohne Zagen trinken dürfen“. Köstlich lebensecht sind auch die
begleitenden Nebenmenschen, von der rührenden Gestalt des
gelähmten Edelmenschen an bis zur scheußlichen Erscheinung
des lästigen Freiers, der schon allein durch seine Existenz be¬
leidigend wirkt. Es gibt solche Menschen.
Endlich erzählt Schnitzler von dem unheimlichen Walten
seltsamer und unbegriffener Dämonen, in der Fabel und den
Rhythmus den großen Schicksals=Romantikern vergleichbar, und
am Schluß die Philosophie eines unmenschlichen Weisen
stürzen, der sich groß in seinem Wagnis und seiner Selbst¬
überwindung dünkte, als er sein Weib Dionysia in das
Grenzenlose der tausend Lockungen sandte. Aber er wark
seiner Weisheit nicht froh.
Das sind die drei Bände der Erzählungen von Arthur
Senitzler, in knappen Andeutungen kenntlich gemacht, wie
Zeit und Raum es ermöglichten. Im „Tagebuch“ seines
„Heimgarten“ hat Peter Rosegger, der große Dichten
und prächtige Mensch, sich und anderen Poeten zur Lehre ges
stellt: „Man sollte sich bei dem Miterleben mit seinen ent¬
stehenden Gestalten nicht selbst zu sehr ergeben. Aber freilich
der Dichter kämpft mit seinen Kämpfenden, lacht mit seinen
Lachenden und weint mit seinen Weinenden. Das ist mensch¬
lich gut und künstlerisch schlecht. Der Künstler sollte imt¬
Schaffen das Gleichgewicht seines Herzens bewahren. „Ob¬
jektiv“ heißt das Wort, das soll er sein. Die Großen, glauber
ich haben das gekonnt; die geniale Kraft hat bei ihnen ge¬
nügt zur Schöpfung einer Menschenwelt, daß sie es nicht nott
hatten, ihr eigenes Herz anzuzapfen!“ In diesem Sinne ists
7o.
Arthur Schnitzler „objektiv“.