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7. Gesannelte Nerke
esten Zeitungen und ist das
bestorganisierte Bureau Deutschlands.)
Landesztg.
Zeitung:
Ori: „D.
ar
Datum: M
Neue Dramen.
In drei stattlichen Bändchen liegt nun das Büh¬
nenwerk Artur Schnitzlers vor. (S. Fischer,
Berliny“ Die Theumtanen den Zeitraum
—von 1889 bis 1905. Der Dichter des „Anatol“, dieser
eigenartigen Wiener Persönlichkeit modernsten Ge¬
präges, die freilich nicht nach jedermanns Geschmack
sein mag, erinnert lebhaft an Alfred de Musset.
Auch viele Dramen Schnitzters lesen sich mehr wie
dramatisierte Novellen; der Erzähler ist jedenfalls be¬
deutender als der Dramatiker; aber eben deshalb
bieten diese Dramen gerade bei der Lektüre einen¬
besonderen Genuß. Echter Wiener Geist lebt in
ihnen, etwas Weiches, Sybaritisches, das den „Sinn
des Lebens“ erkannt hat. Zweiundzwanzig Viel¬
und Ein=Akter umfassen diese vier Bände. Liebelei,
Freiwild, Komtesse Mizzi, der tapfere Cassian, der
grüne Kakedu, Parazelsus und Literatur — wer
kennt sie nicht? Und diesen Dichtungen schließen sich
andere gleichwertige an. In jedem Stücke hat der
Poet seinem Leser etwas zu sagen, und zwar in einer
schlicht schönen Sprache, die selbst, wo sie sich des
Jambus bedient, immer natürlich poctisch bleibt und
nie pathetisch einherschreitet. Allermodernste Fragen
des Tages erfahren oft eine neue, geistvolle Beleuch¬
tung. Es ist noch nicht, durchaus nicht entschieden, ob
man Schnitzler zu den hervorragenden Dramatikern
des gegenwärtigen Deutschland rechnen darf; aber
das hindert nicht, schon heute zu behaupten, daß man,
wie bei seinem Geistesverwandten Alfred de Musset,
auch noch nach vielen Jahrzehnten dieses in vier
Bänden vereinigte Bühnenwerk Schnitzlers als die
Darbietung einer echten Darstellerpersönlichkeit, die
etwas zu sagen hatte und auch gestalten konnte, mit
großem Genusse lesen wird.
Im gleichen Verlage aah Safoh. M##.
box 35/9
pels,
PTancisco, Stockholm, ##P’eters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Oewähr.)
Ausschnitt au
Die Neue Zeit, Stuttgart
vom:
Aktur Schnitzler, Gesammelte Werke. Erste Abteilung: Die erzählenden
Schriften. Bertin, Vertag= S=ischer. In drei Bänden gebunden 10 Mark, in
Halbleder 13 Mark, in Ganzleder 16 Mark.
Wenn auch der Dramatiker Schnitzler immer lauteren Widerspruch weckt, dem
Erzähler Schnitzler mit seiner leichten, gefälligen und doch nie oberflächlichen Art
begegnet man immer wieder gern, um eine Strecke Weges mit ihm zu wandern.
Das war ein glücklicher Griff des bekannten trefflichen Verlags, die Erzählungen
in drei geschmackvoll ausgestatteten Bänden gesammelt herauszugeben.
Wer sich an Schnitzlers klassizistischem Stil, an dem klaren, ruhigen Fluß
seiner Satzfolgen erbaut, muß sich erst gewaltsam in die Erinnerung rufen, daß
dieser Mann mit dem Ursprung seines Schaffens in einer Zeit wurzelt, die den
literarischen Guillotinenmarsch trommelte und den extremen Naturalismus auf
den Schild erhob. In seiner Form hat Schnitzler nämlich auch gar nichts vom
Naturalismus angenommen, aber seine Art, Menschen zu beobachten und darzu¬
stellen, verrät ihre Verwandtschaft mit jener neuen Generation, die es unter¬
nahm, den dunklen Erdteil der menschlichen Seele kreuz und quer zu durchforschen
Freilich hallt auf der anderen Seite nichts von dem Maschinengestampf der
Gegenwart in seinen Werken wieder. Viktor Adler und Artur Schnitzler sind beides
Wiener, beides Juden, beides Arzte und im Alter nur durch die kurze Spanne eines
Jahrzehnts voneinander getrennt, aber wie verschiedene Wege sind sie gegangen!
Der eine erkannte die soziale Frage in ihrer ganzen aufwühlenden und umstür¬
zenden Zukunftsbedeutung und stellte sich entschlossen dorthin, wo in dem großen
Kampfe um ihre Lösung die Kugeln am dichtesten flogen, der andere flüchtete sich
vor ihr abwehrend und entsetzt auf die dunklen und kühlen Haine seiner Kunst.
So wenig wie die der Romantik sind seine Gestalten irgendwie sozial bedingt, und
eine Magenfrage kennt er nicht. Was Mielke in seinem bekannten Werke über
den deutschen Roman des neunzehnten Jahrhunderts von den ersten modernen
Erzählungen sagt, gilt mit geringen Veränderungen auch für Schnitzlers Menschen:
„Die Helden leben und lieben in den Tag hinein; sie haben so viel innere oder
äußere Erlebnisse, zeigen so viele schöne Gedanken und Empfindungen, haben so
viele Abenteuer zu bestehen, daß die Frage, wovon und wie sie leben, kaum ge¬
streift wird.“ So dämmern, losgelöst von allen materiellen Beziehungen, die
Helden dieses Österreichers in einem rein spirituellen Dunstkreis dahin, und wenn
hier und da auch einmal ein Stück Elend aufschimmert, so doch nur als ein rasch
übergangenes Moment letzter Ordnung, in dem Strom des Ganzen wie eine#
Welle, die aufblitzt und zerrinnt.
Aber mag Schnitzler sich noch so sehr von der sozialen Frage abkehren, die
Herzen seiner Menschen sind doch voll der dunklen Schatten, die eine drohende
Gesellschaftskatastrophe stets auf die Bankette der Fröhlichen zu werfen pflegt.
In seinen Werken wandeln Kinder einer untergehenden Klasse und sind von
Untergangsstimmung umwebt. Müde und blutleer lieben sie den Traum und
scheuen die Tat. In einem der Dramen sagt eine Schnitzlersche Figur:
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Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends. Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug.
So auch die Menschen der Erzählungen: sie spielen immer, mit sich, mit an¬
deren, mit der Liebe, mit dem Leben. Es ist so viel Halbes in ihnen, halbes Ber
gehren, halbe Sehnsucht, halbes Wollen, und nur den entblätterten Kranz halber
Erfüllungen reicht ihnen das Leben. Voll Entsagung und herbstlicher Wehmut
sind diese Menschen und voll resignierter Verträglichkeit. Sie zerschlagen sich nicht
die Köpfe, sondern strecken verzeihend einander die Hände entgegen. Nichts Fal¬
scheres als zu glauben, mit der konzentrierten Novelle vom „Leutnant Gustl“
habe sich Schnitzler zum Richter über allerhand Schwächen im Offizierkorps auf¬
werfen wollen; nur ein menschliches Schicksal wollte er menschlich schildern, und
wenn das Objekt seiner Schilderung nun schon ein Hallodri war, so sprach der
Dichter sich jedenfalls von aller Schuld daran frei.
Von dem Roman „Der Weg ins Freie“, der den dritten Band dieser Ausgabe
füllt, hat man wohl behauptet, daß es der Wiener Roman sei. Sicherlich ist
Schnitzler ohne den Wiener Hintergrund nicht denkbar, aber von hier bis zu dem
Wiener Roman ist es doch noch weit. Gewiß hat er nie das Klischee=Wien, das
„Wean“ des goldenen Herzens und der süßen Madeln, des Wurstelpraters, der
Backhähndeln und der Fiaker gegeben, aber noch weniger das arbeitende, das
kämpfende Wien, das Wien der Nationalitäten= und Klassenkämpfe, das Wien
der riesenhaften Wahlrechtsdemonstrationen, das bei den ersten Wahlen unter
dem gleichen Recht über 100000 sozialistische Stimmen auf den Tisch warf, auch
nicht das kleinbürgerliche Wien, das Wien der Luegerei und der christlichsozialen
*
Interesseneliquen und auch nicht das großbourgeoise und nicht das aristokratische
Wien, sondern er gibt nur, gerade wenn man den „Weg ins Freie“ daraufhin
ansieht, einen Extrakt aus dem geistigen Wien, in einem Wort: ein Literaten#
Wien. Die Judenfrage soll in dem Buche als Problem behandelt werden, aber
schließlich stehen die Menschen Schnitzlers zu ihr wie zu allen Fragen: gleich einer#
bunten Muschel, die das Leben an den Strand spült, heben sie sie auf, drehen sie
um, spielen damit und lassen sie wieder fallen. Es ist ein Versager.
Ein paar kurze Erzählungen aus der letzten Schaffensperiode des Dichters
stehen in dieser Ausgabe, die zeigen, daß auch er, wie alle seine literarischen
Schicksalsgenossen, unfähig, das wirkliche Leben zu meistern, durch ein dunkles Tor
in das Land der Mystik schreitet, und seine Gestalt, die trotz aller Weichheit stets
sfest umrissen war, zerrinnt hier ins Nebelhafte.
Hermann Wendel.