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betzt gent es an ihre Ergänzung.
Der kritische Betrachter wird vielleicht
sagen: In den „gesammelten Werken“ haben
diese beiden großen und richtigen Dichter
Gelegenheit gefunden, sich auszusprechen.
Diese gesammelten Werke sind obendiein noch
von ihnen selbst bei Lebzeiten zusammen¬
gestellt worden. Was eie dort nicht aufnahmen,
wird einer solchen Aufnahme wohl nicht wert
gewesen sein. Vergeht man sich jetzt nicht
gegen den ausdrücklichen Willen dieser neuen
Wiener Klassiker, wenn allerhand Werke und
Werkchen ans Licht geraten, die sie sorgfältig
verschlossen hielten und verschlossen ließen?
Die beiden waren ja nicht bloß Künstler, son¬
dern auch Beurteller ihrer Zeit und vor allem
Selbstbeurteiler. Die Versuchung liegt gewiß
nahe, mit ihrem Nachlaß weitere Bände zu
füllen. Aber soll, darf man das?
Man darf es, wenn die Qualität des nachträg¬
lich zu Erschließenden das Verfahren heute
rechtfertigt. Darf es auch, wenn die Nachla߬
werke persönliche Beziehungen aufhellen, die
sonst verborgen geblieben wären oder wenn
sie interessante Vorstudien sind. Gerade jatzt,
so kurze Zeit nach Schnitzlers und Hofmanns¬
thals Tod, ist die biographische Leidenschaft
groß, die Sehnsucht stark, die teuren Ge¬
stalten in ihrem ganzen Wandel, in allen ihren
Beziehungen nochmals zu beschwören. Hinter¬
bliebene öffnen nicht mit Unrecht ihre
Schränke. Philologen bekommen zu tun.
Solcherart ist der herrliche, wenn auch
leider nur
fragmentarische Roman
„Androas“ von Hofmannsthal ans Licht ge¬
kommen, zuerst veröffentlicht in der ausgs¬
zeichneten Zeitschrift „Corona“ — in diesen
Blättern ist schon vor zwei Jahren ein Stück
daraus abgedruckt worden. Jetzt gibt
S. Fischer das Buch als Ganzes heraus und
Jakob Wassermann schreibt in einem Nach¬
wort über die Arbeit des Dichters an diesem
Roman. Er spielt in dem Österreich des acht¬
zehnten Jahrhunderts und schildert die Reise
eines vornehmen jungen Mannes, eine
Bildungsreise nach der Sitte der Zeit, gegen
Venedig — mit einem Aufenthalt in einem
kärntnerischen Edelhof. Man darf sagen, daß
man von Hofmannsthal nicht alles, nicht das
Rechte weiß, wenn man dieses sehr umfang¬
reiche Fragment nicht gelesen hat. Es wäre
zu schön, wenn der sicherlich reiche Nachlaß
des Dichters auch nur entfernt so herrliche
Schätze noch enthielte.
Von Schnitzler wird (im gleichen Verlag)
ein Band früher Novellen unter dem Titel
„Die kleine Komödie“, veröffentlicht.
Der Herausgeber (Otto F. Schinnerer) teilt mit,
daß Schnitzler, als er mit 31 Jahren das Buch
„Anatol“ herausgab, das ganz allgemein noch
als sein Erstling angesehen wird, schon
dreißig Theaterstücke fertig hatto
und entsprechend viel Erzählendes. Da gab es
eine Zeitschrift „Der freie Landesbote“ in
Bayern, eine andere in Wien, die „An der
schönen blauen Donau“ hieß, eine „Deutsche
Wochenschrift“ und so weiter. Uberall da
tauchte mit Gedichten, Novellen, Skizzen der
junge Schnitzler auf, der ja wegen seiner Dich¬
tungen immer wieder in Konflikt mit seinem
Vater geriet, von den großen Zeitungen keine
Förderung, zu erwarten hatte und in Zeit¬
schriften flüchten mußte, die heute zum guten
Teil nur seinetwegen noch bekannt sind. Eine
merkwürdige Virtuosität des Erzählens liegt
in den nun zu einem Band gesammelten frühen
Geschichten, sie geben ein Bild des jungen
Dichters und seiner Zeit — aber sie deuten
auch schon, und immer wieder, auf den
späteren Schnitzler bin, seine „ewigen“
Motive, Liebe, Tod, Spiel, die immerwährende
Ungewißheit sind schon da zu finden, es ist
echtester Schnitzler, wenn
auch noch nicht
größter und reinster.
Paul Stefan.
BSERVEI
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELE 1I
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Kukt I. MtuaAN
3. FEB. 1933
vom:
von neuen Sacheir
Der junge Schnitzler.
„Die kleine Komödie.“ Frühe Novellen von
Arthur Schnitzler. Mit einem Nachwort von Otto
P. Schinnerer. (S. Fischer=Verlag, Berlin.)
Mit einiger Ueberraschung wiegt man den Band
in der Hand, der jetzt, wahrscheinlich als letztes Opus
in der Reihe der Schnitzler=Werke, herauskam. Er
enthält nicht, wie dies nach dem Tode von Dichtern ge¬
wöhnlich ist, Unvollendetes; er bringt den frühen, ganz
frühen Schnitzler. Auch die mit Schnitzler jung ge¬
wesen sind, kannten ihn bloß als den Verfasser der un¬
erbittlichen Skizzen= und Novellenreihe „Sterben,
etwa erinnert man sich des Durchfalles seines Schau¬
spieles „Märchen“; unvermittelt, eine fertige und be¬
stimmte Persönlichkeit, stand also Arthur Schnitzler
als Dichter des „Anatol“, der „Liebelei“ plötzlich an
der Spitze einer jungen wienerischen Literatengruppe.
Eines Tages war diese besondere, eigenartige und für
seine Zeit neue Erscheinung da. Arthur Schnitzler kam
nicht vom Journalismus, nicht vom Essay her, so war
der Kreis, der ihn vorher kannte, verhältnismäßig
klein. Trotzdem hat sich damals niemand die Frage vor¬
gelegt, durch welche Wege der Dichter zum „Anatol“,
zur „Liebelei“ gefunden hatte? Was einigermaßen
nahelag, denn 31 Jahre zählte Schnitzler, als im
Jahre 1893 der „Anatol“ erschienen war.
Jetzt erfährt man's, jetzt lernt man diesen recht
starken Band früher Arbeiten kennen. Seit seinem
neunten Lebensjahre schrieb er schon; mehr als alle
seine Wiener Dichtergenossen der Zeit hatte der fertige
und über Nacht berühmt gewordene Arthur Schnitzler
zuvor gerungen. Er hatte ein Jugendschaffen hinter
sich. Nicht weniger als dreißig Theaterstücke, zahlreiche
dramatische Fragmente, Entwürfe, massenhafte Ver¬
suche in Prosa hatte still und zwingend der Student,
Mediziner und junge Arzt geschaffen. In der Mam¬
rothschen Zeitschrift „An der schönen blauen Donau“
sind Schnitzlers erste Arbeiten erschienen, gewiß nicht
mehr Aufmerksamkeit erregend als es einem begabten
Familienblattmitarbeiter beschieden sein kann.
Der vorliegende Band gibt uns Schnitzler nun
noch einmal in seiner ureigensten Art. Noch einmal!
Da sind ganz frühe Stücke, Novelletten, Skizzen,
Stimmungsbilder, die seinerzeit in den verschiedensten
Zeitschriften und Zeitungen erschienen sind. Noch ist
der Stoffkreis, die Art des Reflektierens, seine Ge¬
staltenwelt ihm selbst nicht erschlossen und vertraut.
Er schwankt vom Stimmungsbild zur moralisierenden
Zeitbetrachtung. Melancholie und Todesidee beherrschen
viele der kleinen Geschichten. Der junge, lebensvolle
Dichter des „Anatol“ läßt mit wahrer Wollust sterben.
Es stehen auch Meisterwerke des reifen, großen Er¬
zählers in dem Band, die bisher verschollen waren,
etwa die Spielergeschichte „Reichtum“, die Todes¬
geschichte „Der Andere“, die blutgierig=schauerliche Ge¬
schichte „Der Witwer“
aber auch die sprühende, heute
bereits sittengeschichtlich wirkende Novelle in Briefen
„Die kleine Komödie“
Schon zeigt sie Schnitzlers
Kunst, in leichtester, graziösester Darstellung ein
Problem zu gestalten. Das Schnitzler=Wort „Vermächt¬
nis“ in der musikalischen Melancholie, wie nur er sie
kannte, bringt man unwillkürlich mit dem Buche in
Verbindung.
Rudolf Holzer.