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Pamphletsofforints
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Schaeffer.
Satisfaktion; der Offizier kann ohne Genugthuung nicht leben und knallt
den Beleidiger nieder. Als man „Freiwild“ aufführte, war die Zeit
einem lärmenden äußerlichen Erfolge günstiger als ruhiger Würdigung.
Die Zeitungen hatten eben eine ständige Rubrik für Brüsewitze eröffnet,
und im Reichstag, wie in allen Bezirksvereinen, feierte die liberale Phrase
Orgien. Da starb der Civilist in „Freiwild“ sehr gelegen. Als dem
Oberlieutenant Charinski die seit den Tagen des Grafen Essex noch
immer wirkende Ohrfeige auf der Wange klebte, jauchzten die Galerien,
den langen Erörterungen über das Duell folgte man mit höchstem
Interesse, und über dem „aktuellen" Thema vergaß nicht nur das
Publikum, sondern auch ein großer Teil der Kritik die Feinheit seiner
Behandlung. Gerade die Stellen aber, wo über das Duell gesprochen
wird, scheinen mir die schwächsten; sie sind überaus geistreich, aber eine
neue Seite wußte selbst Schnitzler dem Thema nicht abzugewinnen. Doch
man wird reichlich dafür entschädigt. Denn prachtvoll sine ira et
studio sind beide Gruppen hingestellt, die Offiziere und die Civilisten;
alle sind wirkliche Menschen und keine Bühnenpuppen, und das Treiben
der Schmierengesellschaft in dem kleinen Badeort, das Theater auf dem
Theater, vor Arthur Schnitzler ist es noch niemals so frisch und ehrlich
gezeichnet worden.
Wenn ich mich des ersten Aktes der Liebelei, mancher Scene des
Anatol und dieser Theaterbilder aus Freiwild erinnere, so bedaure ich
stets, daß uns Schnitzler noch kein Lustspiel geschenkt; wenn einer
berufen ist, uns das moderne Lustspiel zu schaffen, so ist es Schnitzler;
denn im reichsten Maße besitzt er jene zwei Eigenschaften, ohne die das
Lustspiel nicht denkbar ist, Geist und Grazie, und außerdem ist er —
ein Dichter.
Arthur Schnitzler kennt die Gesetze der Bühne wie nur Wenige.
Er weiß, daß die Beleuchtung der Rampe härter und schärfer sein soll
als des Tages Helle, daß in der Sprache alles unterstrichen werden
muß, daß auf der Bühne endlich immer und immer nur eine Handlung
wirkt. Das gesprochene Wort und die äußere Handlung sind freilich
nur die Summe einer Reihe von inneren Vorgängen, nur das Endziel
eines sehr langen Weges, und die Kunst des Dramatikers besteht darin,
uns diesen Weg überschauen zu lassen, ohne daß wir ihn beschreiten
müssen. Gerade umgekehrt ist das Verfahren des modernen Novellisten.
Von ihm fordern wir, daß er uns all die seelischen Ursachen erkläre,
deren sinnliche Wirkung wir in Wort und Handlung erkennen. In dieser
Kunst, von der Summe auf die Summanden zu schließen, all die feinsten