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Julda.
Iispiels
box 36/1
1. Panphlets offprints
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Dramatische Rundschau.
bangen Mädchens
Fichtner sein Vater, ist ihm eine Wahrheit ohne nimmt es nur als den gerechten Lohn für ein
war bereit zur
Kraft: für ihn hat sich damit nichts geändert. Leben, das niemandem Liebe geschenkt hat, das
nicht für jemand anderen auf der Welt war.
icke sank dem gro¬
Das Andenken seiner Mutter — erst nach deren
„Was hat das, was unsereiner in die Welt
vor den Folgen
Tod erfährt er von ihren Beziehungen zu Ficht¬
bringt, mit Liebe zu tun? Es mag allerlei
sich laden würde.
ner — bleibt ihm so heilig wie zuvor, und der
Lustiges, Verlogenes, Zärtliches Gemeines, Lei¬
nd vor den Rie¬
Mann, in dessen Haus er geboren und aufer¬
t vor die offenen
zogen ist, der seine Kindheit und seine Jugend
uft schieben wür¬
mit Sorgfalt und Zärtlichkeit umgeben und der
iner Jugend, die
seine Mutter geliebt hat, gilt ihm hinfort eher
cht feil auch für
mehr noch als bisher. Fichtner selbst aber, des¬
Einsam geht der
sen Selbstsucht es nicht über sich vermochte, das
nd das Jugend¬
Andenken der Geliebten rein zu erhalten, erscheint
Erinnerung, die
ihm seitdem sremder denn je. Ich darf hier die
t, die nur ein
Leser wohl an Marie v. Ebner=Eschenbachs dra¬
seinem Genu߬
matische Skizze „Ein Sportsmann“ erinnern, die
er das Alter ihn
vor einiger Zeit in den „Monatsheften“ erschie¬
Inrast von ihm
nen ist (Oktober 1903). Auch hier tritt der
hlen beginnt, da
Sohn, Offizier gleich Felix Wegrath, vom Sterbe¬
Glück zu geben
bette seiner Mutter seinem väterlichen Freunde
och einen Men¬
gegenüber, dem er, ohne es zu wissen, das Leben
en weiter auf
verdankt. Dieser aber zwingt, der Toten zuliebe,
Und i
die weich und verführeriich in ihm ausquellenden
aubt er,
Vatergefühle für den prächtigen Burschen mit
edarf, er an
harter Faust nieder und geht mit Willen auch
Der Sohn,
im Alter einsam seinen Weg weiter.
jnet hat, kann
Bei Schnitzler wie bei der Ebner bleibt die
sobald er ihm
Gestalt der Mutter verschleiert im Hintergrund.
bart!
Aber er
Kein strafender Strahl fällt auf ihr Haupt; Liebe,
er meint,
die einem anderen sich schenkte, braucht nicht zu
entliche“. Daß
fühnen. An Stelle Gabrieles aber büßt bei
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Schnitzler ihre von Ahnungen umsponnene Toch¬
ter Johanna. In ihr wiederholt sich zum Teil
das Schicksal der Mutter. Wieder scheint der
Dichter zu fragen: Was ist Gegenwart, was ist
Vergangenheit? Der sich Traum und Wirklich¬
keit unleusch verschlingen wie Beatrice Nardi,
der vor Leid und Krankheit unweiblich graut,
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die mit sich und anderen spielt, der nicht das #
Frauenglück vergönnt ist, sich einem anderen
hoffend und helfend zu geben — sie verliert sich
an einen Todeskandidaten, einen unsteten, wul¬ Stto Sommerstorff als Sangiorgio in dem Schauspiel
„Novella d'Andrea“ von Ludwig Fulda.
zellosen Gast auf dieser dunklen Erde, dem von
jeher aller Schmerz und alles Glück nur eine
Sensation für seine spielerisch eitle Seele bedeu= denschaftliches sein, das sich als Liebe ausgibt.
teten. Dieser schöngesstige Herr von Sala, der aber Liebe ist es doch nicht. Haben wir jemals
vom Künstler nur die immer bereite, immer ein Opfer gebracht, von dem nicht unsere Sinn¬
hungtige Empfänglichkeit hat, ist ein Partner lichkeit oder unjere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt
Fichtners, gleich ihm ein Spieler in der Lebens= hätte? haben wir je gezögert, anständige Men¬
komödie, nur daß er sich über sich selbst klar schen zu betrügen oder zu belügen, wenn wir
ist und sich weniger wehleidig betrachtet als dadurch um eine Stunde des Glückes oder der
dieser. Die er vielleicht im Abendrot seiner Lust reicher werden konnten? Haben wir je
verlorenen Tage doch noch lieben gelernt hätte, unsere Ruhe oder unser Leben aufs Spiel ge¬
setzt — nicht aus Lanne oder Leichtsinn; nein,
Gabrielens Tochter, weiß, daß es zu spät ist:
so stürzt sie sich, zu verzärtelt, um mit dem um das Wohlergehen eines Wesens zu fördern,
das sich uns gegeben hatte? haben wir je auf
Leidenden zu leiden, in den Teich in seinem Gar¬
ein Glück verzichtet, wenn dieser Verzicht nicht
ten und macht sich ihm zu einer „Erinnerung“
wenigstens zu unserer Bequemlichkeit beigetra¬
wie die anderen, die vor ihm und für ihn dahin¬
gen hätte? ... Und glauben Sie, daß wir von
gegangen sind. „Und wenn uns ein Zug von
Bacchanten begleitet hätte, den Weg hinab gehen einem Menschen — Mann oder Weib — irgend
wir alle allein — wir, die selbst nieman= etwas zurückfordern dürften, das wir ihm ge¬
dem gehört haben.“ Wie Fichtner, dem der schenkt hatten? Ich meine keine Perlschnur und
Sohn die Hand verweigert, schreitet nun auch keine Rente und keine wohlfeile Weisheit, son¬
Sala einsam den Pfad gen Abend, in die Nacht, dern ein Stück von unserem Wesen — eine
Er beklagt sich auch gar nicht weiter darüber; er Stunde unseres Daseins, das wir wirklich an
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Monatshefte, XCVI. 571. — April 1901.
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