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1. Panphlets offprints
Kunst.
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alle Lebenslagen und blickt mit vollem Verständnis auf das Befreiungs¬
streben der Unterdrückten und Enterbten. Sie, die den schwersten
Problemen der Menschen gedankenvoll nachspürt, verliert niemals das
Unglück in der realen Welt aus den Augen. Ihre wirkungsvolle Berg¬
mannstragödie giebt dafür Zeugnis. „Schlagende Wetter“ ist ein Mluster¬
stück glücklicher Beobachtungsfähigkeit und herzlicher Teilnahme an dem
Proletariergeschick. Delle Grazie ist aber so sehr Dichterin, daß selbst
bei der naturgetreuesten Wiedergabe ein Hauch von Poesie über dem
Ganzen weht. Es ist nicht der ungebändigte Naturalismus, der die
Natur womöglich noch natürlicher machen möchte, vielmehr ein lebens¬
volles Bild, wie es eine Künstlerseele erschaut. Und Künstlerkraft lebt
Richard Tharmatz.
in delle Grazie!
W
Gewerbe-Ausstellung. Der Berliner Kunstgewerbe¬
24 UIISL. verein, der auf ein 25jähriges Bestehen zurückblickt, hat
in einer Ausstellung im königlichen Akademiegebäude den
# Versuch gemacht, durch eine größere Anteilnahme künstlerischer Kräfte den
neueren Bestrebungen gerecht zu werden. Erwägt man die hierbei zu
überwindenden Schwierigkeiten, so kann man dem genannten Verein nicht genug
Dank wissen, daß er mit großer Energie und opferwilliger Mitarbeit dem Berliner
Kunstgewerbe zu künstlerischen Leistungen verholfen hat. Gerade dieser Verein ist
durch die große Zahl seiner Mitglieder aus den verschiedensten hier in Betracht
kom nenden Berufsklassen, der Künstler, Kaufleute und Handwerker, wie kein anderer
geeignet im hohen Sinne vorbildlich und fortschrittlich zu wirken. Noch vor wenigen
Jahren boten Ausstellungen des Berliner Kunstgewerbes ziemlich alltägliche Leistungen,
die man schließlich überall zu sehen Gelegenheit hatte. Hier ist jetzt wenigstens
einigermaßen Wandel geschaffen. Schon die Inscenierung des Ganzen, ein Verdienst
Grenanders, macht einen einheitlichen, echt künstlerischen Eindruck. Der sonst
unbedentend erscheinende Uhrsaal der Akademie ist durch eine tonnenartig sich wölbende
Architektur zu mächtiger Wirkung gesteigert. Uberhaupt zeigen die dekorativen
Elemente der Ausstellung bedeutende Fortschritte. Nach einer Anzahl kleinerer
Räume folgt wieder ein großer, als Abwechselung sehr erwünschter Repräsentations¬
saal mit Bänken, Brünnen und dekorativen Bildern. Im übrigen sind neben einer
Anzahl wirklich guter Zimmer, die ein Blinder herausfinden kann, Räume von
einer unglaublichen Geschmacklosigkeit zu sehen. Diese Chatsache sollte zeigen, daß
nur die Beschränkung auf das wesentlich Künstlerische den einheitlichen Eindruck
des Ganzen bedingt. In dieser Anschauung liegen die Gesichtspunkte, welche der
Creut.
neuen Arbeit nur förderlich sein können.
Kunst. Neulich war ich, aus dem Weihnachtstrubel flüchtend, in Wertheims
Kunstsalon getreten und freute mich nicht nur der Ruhe, sondern auch an der
würdigen Kraft der meisten Bilder. Die Seele weckte sich und man sah — mitten
im Warenhaus stehend! — das Bedeutsame sich herausheben und die Solisten
traten aus dem Rahmen heraus. Dennoch wurde mir seltsam schwül nach einer
Diertelstunde; die Eindrücke waren sehr gleichartige und nicht eigentlich frische.
Ich ging der Suche nach. Da ergab sich folgendes merkwürdige Resultat. Don
den 60 Bildern waren 41 Landschaften. Die übergroße Zahl bekam dadurch noch
mehr Monotones, daß sie fost alle Abendlandschaften, daß fast keine Menschen,
keine Tiere, keine Dögel drauf waren; überall schlief es, überall war es stumm.
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