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1. Panphlet:
box 36/1
s. Offprints
Dichtung.
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Fürsten, ihr zumeist recht unklar geartetes Streben nach einer
anderen Verfassung des Reiches, die ihren Bedürfnissen besser
gerecht würde ist der besondere Vorwurf des Dramas. Und
die Behandlung im einzelnen ist dann ähnlich der Be¬
wältigung des Stoffes in den „Webern“. Wie dort so er¬
scheinen hier über der großen Masse als dem Gesamthelden
besondere Führer: einige Bauern und vor allem der zu den
Bauern übergegangene, ihre Ideale teilende Ritter Florian
Geyer. Und die Katastrophe tritt hier wie dort in verwandter
Weise ein: die politischen Gewalten überwinden die soziale
Revolution, und in dem Kampfe fallen Gerechte wie Un¬
gerechte; die geschichtliche Notwendigkeit fährt unerbittlich daher,
die besonderen Wünsche des bäuerlichen Kollektivhelden, an sich
vielleicht ideales Recht, werden ins Unrecht gesetzt durch die
brutale Macht der allgemeinen Interessen. Es ist ein Kampf
ums Dasein und eine Niederlage im großen; von sittlichen Ge¬
setzen, vom Triumphe des Guten ist nicht die Rede.
In der Schicksalsidee, wie man sie hier ausgesprochen
finden kann, scheint die innere Notwendigkeit beschlossen zu
liegen, soziale Massendramen historisch zu fassen. Denn wer
würde sich so leicht bei dem Gedanken beruhigen können, zu
sehen, wie ganze Volksschichten in einer nur gedachten Krisis
allgemeinen sozialpsychischen Lebens selbst auch nur scheinbar
ungerecht zu Grunde gehen? Nur die Thatsache, daß solche
Katastrophen wirklich vorgekommen zu sein scheinen, berechtigt
doch wohl nach dem überwiegenden Urteil der Zeitgenossen zu
ihrer dramatischen Bearbeitung. Auch die „Weber“ sind im
Grunde ein historisches Drama.
Wie dem auch sei, Hauptmann hat in „Florian Geyer“
den Weg gewählt, in der allgemeinen seelischen Welt der
Reformationszeit den Bauernstand als Helden kämpfen, kurze
Zeit siegen und dann untergehen zu lassen. Ein vom Stand¬
punkte des Historikers und auch wohl des allgemeinen geschicht¬
lichen Verständnisses der Gegenwart aus ungeheures Wagnis!
Ungeheuer an sich, doppelt ungeheuer für eine Zeit, deren
Volksseele an erster Stelle und im allgemeinsten Sinne doch

Dichtung.
nicht durch die sozialagrarische, sondern durch
geartete reformatorische Bewegung erfüllt wa
die religiöse Bewegung wirklich von der ersten
zur Seite schieben? Immer und immer wiede
hervor: neben die Vertreter des bäuerlich=gutsh
treten Humanisten, Reformatoren, Papisten. Gen
das Bild reicher, und mit großer Kunst ist für
durch die fünf Akte des Dramas und das prächti
durch gesorgt. Gleichwohl verwirren sich die
das nicht der Fall ist, werden sie nur mit ##
darum zu äußerlich auseinander= und zugleich zu
Darüber kommen denn die Personen, die indivih
heiten, das Gerüst der Handlung zu kurz.
„Bauernheld“ als Collectivum verschwindet un
verworrener Gegensätze; erst im letzten Akt bekon
liche Bauern deutlicher zu sehen, und diese nur
Zustand, im Augenblick jähen Niedergangs ihrer
Indes hier soll nicht kritisiert werden;
auch nur das Aufdecken der Konsequenzen h
schauungen, soweit es in Urteil umschlägt, lie
dieses Buches gänzlich fern. Nur die ungeheu
keiten des kulturgeschichtlichen Dramas im vor
bei dem einmal gewählten Stoffe galt es zu be
Und auch die allgemeinen Schwierigkeiten,
wandten Versuchen stets wieder einfinden werd
ordentlich. Die Volksseele einer bestimmten Zeit
in ihrem wichtigsten Organe, der Sprache der
hinaus aber auch an sich im jeweils besonderen
Triebe und Handlungen, zum Tönen, zum
werden. Welche Studien, welche Kraft und D
bildungskraft sind da von nöten! Und auf die
Grundlage soll sich die Psyche eines bestimmten
stimmter sozialer Kreise wieder von dem Allgen
und auf dieser begrenzten Grundlage dann noch
und der Charakter bestimmter Individuen!
Gleichwohl liegt nach dieser Richtung unz
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