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PanphletsOfferints
besser gesagt, diese Dichtung sucht leibhaft existierenden
Menschen durch eine Art Autohypnose nachzuleben und
das Erschaute künstlerisch abzuschildern. Es ist die
Gabe des Schauspielers, die sich hier betätigt und
nicht schwer wäre es aus der österreichischen
Dichtung nachzuweisen, wie stark das Schauspielertum
als Gipfel der geistigen Kultur des Landes auf die
nationale Doesie eingewirkt hat, hingegen unsere
Dichtung niemals vom Schauspielerischen ausgeht, ja
dieses dem Drama durchaus notwendige Element oft
genug schmerzlich vermissen läßt.
Nun denke man sich einen Schauspieler, der zu¬
gleich Dichter ist und nicht zuletzt ein Ohilosoph, der
den Reiz empfindet das reine Gefühl des Menschlichen
und seine notwendig parodistische Darstellung auf der
Bühne des Lebens miteinander zu vergleichen. Zwei
Seeien also in einer Brust und eine überlegene dritte,
die die beiden ironisch heimsucht. Der einen zuruft: Du
spielst Komödie. Der anderen: Du dichtest. Ich aber
will Euch das Leben zeigen, wie es ist, ein Dasein,
das sich den Teufel um Schauspielerei und Dichtung
Man nennt diese Kunstart: Ospchologischen Im¬
pressionismus. Menschen und Zustände behalten ihren
Lokalton, der zu Gunsten des Gesamtkolorits da und
hier eine leise Dämpfung oder Derstärkung erfährt.
Das Centrum ist nicht der Mensch oder gar die Ver¬
hältnisse, sondern das Gefühl, oder ein Modenwort
anzuwenden: die Stimmung.
Die ganze moderne Dichtung strebt nach einer
größeren Intensität. Sie will einen engen mensch¬
lichen Kreis nach allen Seiten hin durchmessen und
erreicht das durch eine stärkere Wechselwertung der Mit¬
spieler. Sie weiß, daß der gegenwärtige Mensch Herz
und Ohr gegen tausend Dinge, die an ihn herantreten,
verschlossen hält, sich nur in seltenen Stunden
höchst vertrauten Menschen eröffnet. Es muß die
Macht der Stunde über ihn kommen, damit er sich in
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der rückhaltlosen Hingabe an einen anderen selbst
empfindet. Das ist keineswegs immer so gewesen. Im
achtzehnten Jahrhundert etwa hat das Individuum
ein außerordentliches Mitteilungsbedürfnis, eine beneidens¬
werte Gabe, sich auszusprechen.
Man wird später einmal einsehen, daß man der
Stimmung in der modernen Doesie zu großen Raum
gewährt hat. Sonderlich im Drama, wo der Wille
nicht fortwährend durch das Gefühl paralpsiert werden
därf. Die Stimmung ist das musikalisch=lprische Element
in der Dichtung. Sie schafft die zwingende Stille, in
der allein Gefühlsübertragungen möglich sind. Und
dann ist sie kraft ihrer Gegenständlichkeit auch jedem
ohne weiteres verständlich.
Diese Kunst wirkt darum so überzeugend, weil sie
Menschen und Dinge gleichsam in ihrem Alltagskleide
wiedergibt. Da ist nichts zurechtgemacht, aus der Sphäre
hoher Empfindungen und idealer Träume angesehen,
aber da ist andererseits auch nichts geschaffen, sodaß
wir den Eindruck hätten, Gestalten und Gedanken aus
dem eigensten Besitz des Dichters zu empfangen. Gleich¬
wohl ist der große Anziehungsreiz, den gerade diese
Doesie auf das Dublikum ausübt, sehr erklärlich. Sie
gleicht feinen, taktvollen Menschen, die alles Gewalt¬
same vermeiden, nie verletzen und nie erschüttern.
Freilich auch nie unser Innerstes aufrühren, nie be¬
rauschen und verführen. Diese Dichtung wirkt mehr
durch Nuancen als durch Grundtöne. Es gelingt ihr,
uns im Lesen und Zuschauen unter ihrem Bann zu
halten, aber das Leben erinnert uns nur selten an die
hier vorgestellten Situationen. Und hierin liegt die augen¬
fällige Begrenzung des dichterischen Impressionismus.
Er ist immer abhängig von einem Einzelfall, ihm
wohnt nicht der Zwang einer großartigen, allgemein
menschlichen Notwendigkeit inne.
Die moderne germanische Dichtung schafft Charaktere,
die späterhin im Leben in Erscheinung treten. Ibsen
etwa nimmt gewisse moderne Frauencharaktere voraus.