Faksimile

Text


box 36/4
1. Pamphlets offprints
mu ß, soll er fortbestehen, ängstlich auf seine Kommittenten sehen, und diese —
ich rede natürlich nur von dem deutschen Buchhandel in Österreich und seinen
Kommittenten — sehen hinaus nach Deutschland.
Es liegen da höchst komplizierte und eigentümliche Verhältnisse vor, Gegen¬
sätze und Widersprüche, die sich gegenseitig nicht aufheben, sondern verstärken,
und die trotzdem manche nicht zugestehen wollen, ja deren Hervorhebung dem mi߬
deutet wird, der offen von ihnen spricht.
Der deutsche Schriftsteller in Österreich kann und darf natürlich nicht nur
an die Öösterreicher seine Worte richten: er muß suchen, mit seiner Stimme zu
seiner Nation, zu dem deutschen Volke, zu dringen, wenn er wirken, wenn er etwas
sein will: er muß aber auch trachten, den deutschen Markt zu gewinnen, wenn er
von seiner Arbeit leben will. Der Österreicher, der in Österreich für Deutschland
#arbeiten will, hat es an und für sich schwer. Und gar erst der Schriftsteller, da hier
die Beurteilung des Wertes eines Werkes viel mehr Raum gibt für subjektives
Urteil als etwa bei Baumwollgeweben oder Stahlfabrikaten. Bei dem kaufmänni¬
schen Industrieartikel denkt man — im großen Publikum wenigstens — nicht weiter
an den Erzeuger. Anders bei dem literarischen Werk. Hier ist der Name des Er¬
zeugers für das große Publikum Marke, und mit dem Urteil und Vorurteil über das
Werk gehen Hand in Hand Urteil und Vorurteil über den Autor.
Da zeigt sich nun ein ganz eigenes Verhältnis zwischen Wien und Deutsch¬
land. Es geht dem Wiener, und überhaupt dem österreicher, da ähnlich wie ge¬
legentlich dem Süddeutschen im Verhältnis zu dem Norddeutschen, nur daß dem
Wiener und dem Österreicher gegenüber sich der Süddeutsche selbst schon gerne
auf den Standpunkt des Norddeutschen stellt.
Der Deutsche kann den Österreicher ganz gut leiden, aber er unterschätzt
ihn, der Österreicher ist ihm, was dem Städter der Vetter vom Lande. Er klopft
ihm gerne wohlwollend und gönnerhaft auf die Achsel. Das verdrießt den Öster¬
reicher aber, wie es auch den Süddeutschen verdrießt, wenn es ihm vom Nord¬
deutschen widerfährt, und der Österreicher und der Süddeutsche haben einen Winkel
in ihrem Herzen, wo sie den Norddeutschen nicht recht leiden können. Zugleich
aber über schätzen sie ihn, und auch diese beiden Momente stehen in Zusammen¬
hang, wie auch ein Teil des Wohlwollens des Norddeutschen auf dem Gefühle seiner
Superiorität beruht. Die Worte „Unterschätzung“ und „Überschätzung“ sind aber hier
nicht in ganz gleichem Sinne gebraucht. Während die Unterschätzung absolut ge¬
meint ist, ist es die Uberschätzung relativ. Nicht das soll gesagt werden, daß man
bei uns in Österreich die Werke der deutschen Literatur zu hoch einschätzt, höher
als sie es verdienen, sondern daß man geneigt ist, das Auswärtige höher zu stellen
als das Heimische, oder diesem doch nicht gleiche Aufmerksamkeit schenkt. Alle
dliese Momente dürften aber noch eine tiefere Ursache, eine physiologische Grund¬
lage in der Sprache haben. Dem Norddeutschen klingen die südlicheren Dialekte
sympathisch, den Süddeutschen aber schmerzt gar oft die nordische Klangfarbe im
Ohr. Dort wenigstens, wo sie als Einzelerscheinung auftritt, ist sie ihm zu scharf,
zu spitz, und dieser Umstand dürfte es erklären, daß der Österreicher der sich in
Berlin aufhält, dort rasch einen viel sympathischeren Eindruck von, dem Nord¬
deutschen gewinnt, als er etwa erhält, wenn er ihm in den Alpen oder in Italien
begegnet. Auch das, was ich von Unterschätzung und Überschätzung gesagt habe,
findet auf dem Gebiete der Sprache Ausdruck. Bei Auseinandergehen des Sprachge¬
brauches ist man auf beiden Seiten geneigt, der südlichen Abweichung den
Charakter des Dialekts, der nördlichen den der Schriftsprache zuzuweisen.
So bestcht bei allen kulturellen und politischen Banden und aller Durch¬
drungenheit von Zusammengehörigkeit und der Notwendigkeit des Zusammen¬
arbeitens doch ein gewisser Antagonismus. Wenn wir den Gegensatz scharf aus¬
drücken wollten, um der Klarheit willen schärfer als er glücklicherweise ist, so
müßten wir sagen: dort wohlwollende Geringschätzung wegen Minderwertigkeit,
hier
scha
Blüte de
enann
U