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1. Panphlets.Offpl.s
Dr. Karl Völker, Der Krieg als Erzieher zum deutschen Idealismus. 265
Seele schlummert dieser Geist, es gilt ihn zu wecken um das Große, was jene
erlebt, nachzuempfinden. Aber es ist dieses Geistes besondere Art, daß er sich
nicht mit dem Erleben begnügt, sondern zum Bewußtsein seiner selbst gelangt,
indem er sich auslebt und auswirkt. „Du sollst, weil du mußt.“ Dieses Pflicht¬
bewußtsein, das aus dem Innern kommt, baut sich die Welt um sich auf und
meistert mit starker Hand die Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellen. Es
gibt kein undeutscheres Gerede als dies, daß die Verhältnisse den Menschen
schaffen; die starke Persönlichkeit gestaltet die Verhältnisse nach seiner Art um.
Diese Persönlichkeit sucht nun äußeres Gelingen mit dem inneren Beginnen
in Einklang zu bringen und es wird ihr deutlich, daß in ihrem ganzen Wirken
ein Plan verborgen liegt, nach welchem sich alles zielbewußt entfaltet. Der
einzelne, der als geistige Persönlichkeit so sein Leben gestaltet, fühlt sich als
etwas in sich geschlossenes, als etwas, was nicht durch einen bloßen Zufall in
die Welt gesetzt wurde, um alsdann ebenso zu verschwinden; sondern er merkt
die Zielstrebigkeit und Planmäßigkeit auch in seinem Leben. Und da geht ihm
mit einem Male etwas auf, wodurch sein ganzes Wesen erst den eigentlichen
Abschluß und die höhere Weihe erhält, Religion.
Man ist der Religion aus dem Wege gegangen, weil man mit ihr nichts
anzufangen wußte. Die alten Werte sah man zerrinnen und hat keine neuen
gefunden. Aber über die Religion zur Tagesordnung zu schreiten, ist undeutsch.
Ihr Wesen zu ergründen, hat stets den deutschen Geist beschäftigt. Die mittel¬
alterliche Mystik hat in den deutschen Meistern Eckehart und Tauler ihre
tiefste Ausprägung erhalten. Die große religiöse Bewegung im sechzehnten
Jahrhundert ist von einem deutschen Professor, Martin Luther, ausgegangen.
Calvin ist ohne Luther undenkbar. Johann Sebastian Bachs Musik ist aus
dem protestantischen Gottesdienst hervorgegangen. Kant hat die Grundlagen für
das moderne religiöse Denken geschaffen und für alle Philosophen nach ihm
ist das religiöse Problem eines der entscheidensten. Die Wissenschaft der
Religionsphilosophie ist deutscher Herkunft. In Beethovens Missa Solemnis
ringt ein großer Geist nach religiöser Klarheit. Bekannt ist Goethes Wort
aus einem Brief an Jacobi: „Ich für mich kann bei den mannigfachen
Richtungen meines Wesens nicht an einer Denkweise genug haben. Als
Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist als Naturforscher und eines
so entschieden wie das andere. Bedarf es eines Gottes für meine Persönlich¬
keit als sittlicher Mensch, so ist auch dafür gesorgt.“ Richard Wagners Werke
durchzieht wie ein roter Faden von Lohengrin bis Parsifal die entscheidende
religiöse Frage nach Freiheit und Erlösung. Anläßlich des hundertsten Geburts¬
tages Bismarcks ist darauf hingewiesen worden, wie seine Persönlichkeit ohne
den religiösen Untergrund unverständlich bleibt.
Alle diese Persönlichkeiten wissen sich abhängig von einem großen geistigen
Sein, das sie in sich fühlen, das sie empfinden, dessen Wesen sie nicht ganz
erschöpfen können, weder in der Dichtung, noch in der Tonkunst, noch in
wissenschaftlichen Erörterungen, selbst nicht ganz in der Sprache der Religion.
Es steigt empor aus der Tiefe unseres Selbst und hebt uns empor, daß wir
uns schauen im Spiegel einer höheren Weltordnung. Wir schöpfen aus ihr