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Panphlets, Offprints

Alt=Österreichs letzte Dichtung (
an die bunteste Großstadt des buntesten
Alt=Österreichs letzte Dichtung (1890—1914)
an die Sprache, auch nicht an die Landsch
Strukturen und Topen
Schutz= und Trutzgemeinschaft geschichtlich
geradezu an die asphaltenen Labyrinthe,
von Herbert Cysarz (Wien)
Gesellschaft, an das unnennbare psycholog
an sich Symbol gewordenen Kaiserstadt.
er österreichische Südstamm, der in den Tagen Walthers
geschwängert von unermeßlichen seelisch
von der Vogelweide und des Nibelungenlieds die köst¬
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der Hochsitz der letzten abendländischen
lichsten Früchte der deutschen Erde getragen hatte, hat
Stein geronnenes Gemeingeschick eines
seit der Weltenwende Luthers nur noch zweimal die Führer¬
Hofburg überkuppelten Chaos der Völker
schaft des gesamten Deutschland ergriffen: im Barock des XVI.,
zusammengeheiratet von den Gespenste
XVII. und im Impressionismus des scheidenden XIX., däm¬
und zusammenregiert von den Geistern
mernden XX. Jahrhunderts. Wien ist die Metropole des euro¬
herrscht von dem letzten weltgeschichtlichen
päischen Barocks und die Metropole des deutschen Impressionis¬
echt Habsburgisch — phänomenal unp
mus — Wien ist für das kontinentale Barock fast ebenso viel,
die apostolische Majestät des Escorial,
wie für die Renaissance Florenz und Rom bedeuten, und es
lang der Erdkreis gebebt hat, noch einma
ist für den nationalen Impressionismus, was für den Natura¬
verkörpert
Wer zählt die Stämme,
lismus Berlin bedeutet. Beide Seelen= und Ausdruckslagen
zeugend hier zusammenkamen? For
indes bleiben schicksalmäßig verbunden: wie das Barock in
Slawentums ziehen herauf, das Gedäc
seiner Hochblüte zu Leopolds I. Zeiten manch impressionisti¬
spukt nach, alle Zauber der italienischen
schen Zug birgt, ebenso ist auch noch im Sterbelied der Donau¬
leuchten zurück, der müde Doppelaar häl
Monarchie um 1900 (dem engeren Thema der folgenden Sich¬
die Zeichen der Macht und des Prunks i
tung) impressionistisch überwiegend nur die Kunstform, zutiefst
all dies wird umsponnen und umspie
barock aber noch Vieles in der Lebensform. Solcher Zusammen¬
Abendschönheit verhaltener Rokoko=Far
klang trennt vorweg die Wiener von ihren Vätern, den Pariser
sommer voll gelber Nachmittage des G
Impressionisten, die bei aller großartigen Fülle des äußeren
Tönen Waldmüllers und Schuberts,
Lebens viel weniger Schächte ins Innere treiben, desgleichen
Zwielichtern aus Stifterischem Licht und
aber auch von ihren norddeutschen Brüdern, deren Impressionis¬
mus immer wieder verwächst und verschwimmt mit dem Natura¬
Zunächst sei nun dem dichterischen
lismus (man sehe Lilieneron, noch Dauthendey, selbst die Grieg¬
eiliger Rückblick gegönnt! Durch den öste
oder Jacobsen=Mode der Waterkant: zum Beispiel Frenssens
hat nie ein Sturm und Drang gebraust -
„Jörn Uhl'). Der Wiener Impressionismus hingegen hängt tief
auch im XIX. Jahrhundert kennt Wien
und unlöslich zusammen mit der internationalen Neuromantik:
einen Sturm und Drang: sie hat keine
mit der melancholischen Sordine Paul Verlaines und den
Herder, keinen Klinger und keinen Heinse,
morbiden Narcotica Baudelaires, den Chopinischen Dämmerun¬
keinen Hamann. Nicht die revolutionä
gen Régniers und den Schwebungen, Schattungen Arthur Rim¬
romantik findet um 1800 in Oesterreich
bauds, mit dem Haschisch und dem „subcurrent“ Charles Swin¬
restaurative und legitimistische Spätron
burnes, und last not least mit der lodeskundigen, todessüchtigen
Grillparzer den Eigenstrom des österreie
Kunst eines Maeterlinck und seiner vlämischen Nachbarn. Und
Hauptstrom der antikisierend=klassischen
wesentlich als das späteste Glied dieser neuromantischen (zum
er sein Drama nicht an Schillers Drama
Teil „symbolistischen") Sippe fügt sich die Wiener Poesic um
Erstling „Blanca von Kastilien“ abgesc
1900 in die europäische Gesamtentwicklung ein — während
bleibt), nicht an das Schiller=Drama, de
sie innerhalb der deutschen Geistesgeschichte vorzüglich als
selbst schief sie gezeichnet sein mögen
artistischer, konservativer Gegenpol zum Grobianismus und
Willens einem granitenen Fatum die
Anarchismus der Naturalisten in weitere Wirkung tritt ...
lautet „Ducunt volentem fata, trahunt n
So viel zur ersten Ortsbestimmung des Gegenstands!
grandiosen pragmatischen (natürlich n
Der Schoß all solcher künstlerischen Vielfalt aber bleibt die
Richtigkeit ein ewiges Parzenlied spinn
menschliche Einfalt eines unberührten Heimatsinns, der freilich
Weltgeists in menschlichem Planen
hier (fast paradox) nicht so an Haus und Herd sich heftet als
schließt sich Grillparzer — und das ist
Preußische Jahrbücher. Bd. CCXIV. Heft