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1. PanOfforints
heit in der Beurteilung von Mann und Weib haftet auch
Arthur Schnitzler an und führt ihn in Widersprüche, deren
Andrang ihn zu immer neuem Grübeln und Schaffen zwingt.
Wir werden sehen, wie die ungenügend oder wenigstens für
den Dichter selbst unbefriedigend gelösten Probleme der Ver¬
führungskomödie im „Gang zum Weiher“ nochmals vorge¬
nommen werden.
Was die Frauen so nachsichtig macht, das ist ihr
den Männern unfaßbares
Wissen von der Unverwandt¬
schaft wahrer Liebe und bloßer Leiberumschlingung: daß Liebe
und Treue nichts weniger als Worte eines Begriffes sind.
Alle reifen Werke Schnitzlers sprechen dieses Geheimnis aus,
mit besonderer Vehemenz „Der einsame Weg“, „Das weite
Land“, „Der Weg ins Freie“ Heinrich Bermann hat eine
Geliebte, die ihn wahllos betrügt — und dennoch so tief
liebt, daß sie seinetwegen sich umbringt. Wenn Aurelie, die
dem jungen Max und dem Maler Gysar ihren Leib verschenkt,
des ungeachtet immer und einzig nur Falkenir liebt, so löst
sie sich mit der Paradoxie solchen Fühlens nicht aus dem
großen Reigen Schnitzlerscher Frauengestalten!); sie gleicht zu¬
mal jener Klara Eckold („Stunde des Erkennens“), die nicht
dem geliebten Ormin sich gibt, sondern einem gleichgültigeren
Andern.
Und ist nicht die Frau die weisere, die Seelenliebe höher
wertet als Sinnenglut?
Ein tiefsinniges Wort des Novalis
dürfte man als Motto über dieses Kapitel von Schnitzlers
Liebesdialektik schreiben: „Vielleicht gehört der Sinnenrausch
zur Liebe, wie der Schlaf zum Leben — der edelste Teil ist
es nicht, und der rüstige Mensch wird immer lieber wachen als
schlafen"?). Schwerlich hat Schnitzler diesen Ausspruch gekannt,
dennoch trifft es mit dem romantischen Denker bis in den
Wortlaut überein, wenn Paola, die „Frau mit dem Dolche“.
ihre Eifersucht auf den in der Fremde vielleicht bei einem
andern Weibe schlafenden Gatten mit diesen Worten nieder¬
schlägt:
Zusammen wach sein, das allein bedeutet?).
Stellt sich die „Komödie der Verführung“ dar als ein
bittersüßes Märchen aus jüngstverflossenen Tagen, so hat
Schnitzler sein jüngstes Bühnenwerk entschlossen in eine fernere
) Vgl. Körner, S. 65—66.
*) Der Ausspruch findet sich in einem Brief an Caroline Schlegel vom
27. Februar 1799, ist aber auch in die „Fragmente“ (Minor III, S. 98)
aufgenommen worden.
3) Ich merke an, daß auch dies wieder gelegentlich fragwürdig erscheint
(Körner, S. 78f.); doch kommt das für die „Komödie der Verführung“
nicht weiter in Betracht.
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