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PanphietsOfferints
wird. „Warum verschmähst du mich, Aurelie?“, fragt er
schmerzlich, „bin ich deiner nicht würdig?“ Und Aurelie ent¬
geguet: „Ob würdig oder nicht, darauf kommt es wohl nicht
an. Aber kein Mann auf dieser Erde, und hätt' ich mich in
wird
jeder Nacht an einen andern verschenkt oder verkauft
jemals auch nur diese Fingerspitzen berühren, wenn es mir
nicht beliebt.“ Sagt nicht Leonilda ein Gleiches?
Und trät ich statt aus einer Schisksalsnacht
Aus hundert Abenteuern dir entgegen, —
Denkst du — weil ich mich deiner unwert fühlte,
Versagt' ich mich? — Und stündest du vor mir
So sündenrein, als ich verworfen wäre —
Denkst du, es flöge dann mein Herz dir zu? —
Es ist das Problem der freien Frau, das hier anklingt,
stärker und entschiedener als in der „Komödie der Verführung“.
Die freie Frau, die auch dem Manne, dem sie ihren Leib ge¬
schenkt hat, nicht untertan sein will; die darum, ungleich den
Frauen verflossener Zeiten, zwar Liebe nimmt und gibt, aber
die Ehe als Fesselung verweigert. Auch dafür findet man
den Keim im „Einsamen Weg“ der sich immer wieder als
ein Zentrum Schnitzlerschen Dichtens und Denkens erweist. Die
erste deutliche Repräsentantin dieses Frauentyps ist aber wohl
die neunzehnjährige Studentin Marcolina („Casanovas Heim¬
fahrt"), die des schönen Leutnants Ehewerbung ausschlägt, aber
ihm eine Liebesnacht gewährt!); genau wie Leonilda steht
auch sie zwischen einem geistig unbedeutenden, aber jungen
Offizier, und dem alternden, wenn auch ruhmbedeckten Aben¬
teurer, und beiden Mädchen wird die Entscheidung nicht schwer,
daß Jugend zur Jugend gehört.
In der „Komödie der Verführung“ ist weniger Aurelie
die Vertreterin der freien Frau (handelt sie doch nicht aus
unbedingter Freiheit, sondern in der Heteronomie des Trotzes)
als Judith und Seraphine. Judith schickt den schönen Max
nach der zweiten Liebesnacht auf ewig von sich fort. Da
begehrt er auf, herrscht sie an; er will wissen, für wen sie ihn
verläßt. Dies ihre Antwort: „Du willst? Wahrhaftig! Wie
du schon versuchst, dich als meinen Herrn aufzuspielen, weil
ich dir zwei Nächte schenkte! Oh, wie kenn' ich dich! Wie
kenn' ich euch alle!“
Genau so heischt Konrad nach der
Liebesnacht herrisch Antwort auf seine eifersüchtige Frage, und
Leonilda darauf:
Bin ich irgendeine
Dir schuldig? Hab ich in dem Augenblick,
Da wir verzaubert ineinanderglitten,
Jumi Herrn dich über mich gesetzt? Gav ich
Mit meinem Heut mein Gestern und mein Morgen —
Ja, weißt du nur, ob ich mich selbst dir gab?
!) Sieh auch Erna Wahl im „Weiten Land“.
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