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Panphlets offorints
fahren der jungen Frau zugenickt hatte. Als der Herzog dann
bei ihnen eintritt, versinkt sie völlig in seinen Anblick, steht
lange geistverloren da, und erwacht endlich zum Bewußtsein
ihrer Leidenschaft und zum Mut des Bekennens.
Coup de koudre nennt der Franzose dergleichen plötz¬
liche Liebesüberwältigung, und der Philosoph der Liebe deutet
ihre Genese so aus: Lame, a son insu, ennugée de vivre
sans aimer, convaineue malgre elle par T’exemple des antres
femmes, ayant surmonté toutes les craintes de la vie, mé¬
contente du triste bonheur de l’orgueil, s’est fait, sans s’en
apercevoir, un modele idéal. Elle rencentre un jour un étre
qui ressemble a ce modele, la eristallisation reconnait son
objet an trouble qu’il inspire, et consacre pour toujours an
maitre de son destin ce qu'elle révait depnis longtemps.
(Stendhal, De Tamour, chap. XXIII.
Einem solchen coup de kaudre hätte auch die keusche
Else erliegen können, deren noch unberührter Mund nach
Küssen schmachtet, aber freilich nicht nach der Liebe ihres
wackern Freundes Fred, der gar zu anständig ist; doch ein
Filon könnt ihr gefährlich werden, etwa der schwarze Italiener
mit dem Römerkopf, den sie flüchtig im Hotel gesehen. Und
wie die Verstörte, nur mit dem Mantel bekleidet, ins Musik¬
zimmer tritt und vor Dorsday und dem Italiener den Mantel
öffnet, behält sie davon noch in der Ohnmacht eine selige
Befriedigung: „Ich bin glücklich. Der Filon hat mich nackt
gesehen.“ Warum muß es ein Filon sein? — Comme le coup
de fondre (belehrt uns Stendhal) vient d’une secrête lassitude
de ce que le catéchisme appelle la vertu, et de Tennui que
donne l’ariformité de la perfection, je croirais ässez qu’il
doit tomber le plus souvent sur ce qu’on appelle le monde
de mauvais sujets, Je doute fort que T’air Caton ait jamais
occasionné de coup de fondre
Noch eine andere Beziehung gibt es zwischen „Fraulein
Else“ und der „Frau des Nichters“ Hier wird gelegentlich
von einer Freundin der Frau Agnes erzählt, die in Jugend¬
jahren harmlos lüsterne Mädchenträume von einem Mätressen¬
dasein hegte, vermählt aber ihren Frauen= und Mutterpflichten
völlig hingegeben war. So brav wäre auch Fräulein Else
geworden, trotz ihrer schamlosen Tag= und Nachtträume von den
hundert künftigen Geliebten und ihrem trotzigen Vorsatz, „ein
Luder zu werden, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.“
In welchem Vorsatz sie sich übrigens mit Judith begegnet, der
Kokotte par dépit aus der Verführungskomödie.
Ganz nahe an die ungewöhnliche Tat der Frau des
Richters reicht eine hypothetische Episode der „Traumnovelle“
heran. Der fünsunddreißigjährige Arzt Fridolin und seine
Gattin Albertine haben eine Redoute besucht, die ihnen zwar
nur ganz unbeträchtliche Erlebnisse brachte, die aber dennoch