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Pannl offorints
der Eindrücke auf die Bühne. Im „Grünen Kakadu“ spielen
Komödianten vor ihrem Publikum, aber nicht auf einer Bühne,
sondern zur Steigerung des Eindrucks der Wirklichkeit mitten
unter ihren Zuschauern in einer Kneipe. Sie spielen aber nicht
bloß, ihr Spiel wird Wirklichkeit und ein Mord wird nicht nur
gemimt, sondern tatsächlich verübt. Soweit war Shakespeare
nicht gegangen, wenn er die Bühne auf die Bühne brachte. Tieck
und, seine romantischen Genossen hatten nach dem Vorgang des
Aristophanes, Shakespeares, des romanischen Dramas tatsäch¬
lich fast alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die Bühne und den
Schauspieler bei geschlossenem und offenem Vorhang, den Zu¬
schauer, aber auch den Dichter, ja den Bühnenmaschinisten in
tollem Wirbel und in dauerndem Wechsel von Bühnentäuschung
und Gefühl der prosaischen Wirklichkeit vorzuführen. Schnitzlers
Burleske „Zum großen Wurstel“, ist eine Studie nach roman¬
tischen Mustern, die das romantische Urbild solcher Scherze, Tiecks
„Gestiefelten Kater“, noch durch diesen oder jenen Griff überholt.
Wieder bietet Wien, und zwar der Wiener Prater, brauchbalen
Stoff. An gleicher Stelle hatte einst Tieck Züge seines eigenen
Schaffens wiedergefunden in dem Spiel des Wiener Wurstels.
Romantische Ironie, Spiel mit der Wirklichkeit, Schweben
und Gaukeln über den Dingen, bewußtes Verzichten auf ein sitt¬
lich wertendes Wort: all das ist der allerjüngsten deutschen Dich¬
tung fremd geworden. Sie sucht ein grundverschiedenes Verhält¬
nis zur Welt. So enthüllt sich die gesamte Leistung Schnitzlers
heute als der Inbegriff der Wünsche die einer romantisch gewen¬
deten Eindruckskunst eigneten, der Kunst, die um 1900 durch un¬
gefähr zwei Jahrzehnte herrschte. Mir indes erschiene es als
schwerer Irrtum, diese Kunst ohne weiteres für völlig überwunden
zu erklären. Sie ist zu stark und zu reich, als daß sie durch die
verheißungsvollsten Ansätze einer gegensätzlichen Kunst ganz in
den Schatten gestellt würde. Es hieße sich ärmer machen, als man
ist, wenn alles, was vor kurzem noch voller und ungebrochener
Ausdruck des Zeitgefühls war, bloß deshalb unserem Bewußtsein
entschwinden sollte, weil ein neues Zeitgefühl sich ankündigt.
Nur wer der Mode nachläuft, kann gegen das Echte von gestern
so undankbar sein.
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