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2. Cuttings
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ARTHUR SCHNITZLER.
als der Geliebte im Duell für eine Andre gefallen ist, die Zeichnung dieses
Bürgerkinds sich an einer Stelle verwirrt. Statt dem tiefsten, stummsten
Schmerz hingegeben zu sein, beginnt sie das Unrecht zu erwägen, das der
Tote an ihr gethan; dass sie ihm nichts gewesen im Grunde, obgleich sie
ihm alles gab; sie reflektiert. Hier ist eine Schwäche des Stückes; das Unbewusste
darf von diesem Haupt nicht schwinden. Eine zweite liegt in dem leisen,
kaum wägbaren Ueberschuss an Sentimentalität. Und ein unbestimmter, ab¬
rundender Zug nähert das Werk in Kleinigkeiten der Konvention. Es sind
Reste, die schwinden werden.
Wie Schnitzler in diesem süssen Denkmal moderner Liebespoesie überall
zur Einfachheit durchgedrungen ist, so auch in der Gestalt des trüben Helden
Fritz. Hier ist der snobisme mehr und mehr gewichen; und mag der
Student auch innere Leere fühlen und in jeder besten Stunde zweifeln, ob
diese Stunde ihm nicht lügt: er ist doch in ungewundenen Linien gezeichnet,
nichts Spielerisches haftet ihm an; er macht sich nicht interessant,
Als Novellist hat Schnitzler zweimal verwandte Männertypen vorgeführt.
In der „Kleinen Komödie“ ist Alfred von Wilmers der übersättigte, leere
Lebensbummler, — der es mit der Einfachheit in der Liebe wieder versuchen
will und dabei auf eine Demimondaine stösst, welche dieselbe Komödie voll¬
führt wie er. Ein allzu genauer Parallelismus zwischen den beiderseitigen
Gefühls- und Handlungsstadien wirkt hier unwahrscheinlich und fatal. In der
jüngsten Skizze, „Ein Abschied“ wird der Held von der Liebe zu einer Ver¬
heirateten ausgefüllt. Ein tragischer Humor liegt darin, dass er an ihrer
Leiche mit dem Gatten zusammentrifft. Freilich war in der Anna Karenina
dieser Humor potenzierter und, für das Zusammentreffen eines Mannes mit
dem Ehebrecher blutiger: es ist nicht das Sterbebett, sondern das Wochen¬
bett. Auf Maupassant’schen Spuren etwa ging Schnitzler in einer früheren Skizze
„der Sohn“ die im Stoff interessierend, in der Ausführung ziemlich gleich¬
giltig ist; ein Muttermörder, den seine Mutter einst morden wollte. Die Höhe
als Erzähler hat Schnitzler in keiner dieser Arbeit erreicht; sondern in
„Sterben“.
Das ist ein krankes, müdes und weiches Buch. Eine Stimmung darüber wie
etwa bei dem Jungfranzosen François de Curel in der schönsten, mattesten Szene
der „Fossiles“. Wieder stille Schlichtheit. Nichts andres wird geschildert als
der Abschied eines Schwindsüchtigen von der Welt. Dass er eine Geliebte hat,
ist bei unsrem Dichter selbstverständlich. Es wird hier etwas sehr andres ge¬
gebea, als bei Paul Heyse, in jener Schwindsuchtsnovelle die in der Mitte
einen optimistischen Punkt hat: es war eigentlich nur Spass, Heyse’sche
Patienten dürfen am Leben bleiben! Bei Schnitzler schreitet das Sterben, das
Absterben, das langsame Erblassen und das Ringen der Seele Schritt für
Schritt vorwärts, bis zum dunklen Ende. Ohne überflüssige Details wird die
Psychologie des Scheidenden gegeben. Das hoffnungslose Bewusstsein, die
Rührung mit sich selbst, Menschenfeindseligkeit, schliesslich der furchtbare
Wunsch, das Liebste mitzunehmen und zu töten, den einst Mariamne in
Herodes weckte, — das alles wird in einem tieftraurigen, blassen Schmerzens¬
buch von der sicheren Hand eines Beobachters gezeichnet. In der Seele des
Weibes, die neben dem Sterbenden kniet, lebt widerwillig, aber unzerstörbar
die Neigung zum Dasein. Und in dieser grauenvollen Erscheinung offenbart
sich der letzte Schmerz aller Erdenkreatur, wie ihn Niels Lynhe einst aus¬
gesprochen: „Es war das grosse Traurige, dass eine Seele stets allein ist. Es
war eine Lüge, jeder Glaube an die Verschmelzung von Seele und Seele.
Nicht die Mutter, die uns auf den Schoss nimmt, nicht der Freund, nicht das