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2. Cuttings
Abnormes oder gar in sich Wider= französelnden Persönlichkeit heraus beobachtet und schildert Denkweise, des Gefühls, der Sprache und Stimmung,
er nun das heimatliche wienerische Leben und Lieben, in denen, so geringfügig sie an sich sind, das ganzes
Dichter des Todes zugleich mit
Wenn ich etwas von Schnitzler lese, meine ich, franzö. Wien sich verrät, wie es leibt und lebt, wie von einem
Pietro Aretino in erotischer Kühn¬
sische Worte, Phrasen und Tonfälle wie aus der Ferne virtuofen Photographen abgeknipst zu finden. Schnitzler
gungsakt und das Sterben ver¬
kennt und empfindet vor allem die Sprache Wiens, nicht
leise mitklingen zu hören. Das soll kein Tadel sein.
l zueinander wie Komplementär¬
so sehr die schwere Mundart des eigentlichen Volkes, als
Nur das eigentlich Schnitzlersche an Schnitzler soll es
tark empfindet, muß, ob er will
namentlich die sprachlichen Mittelstufen zwischen dem
charakterisieren, diese einzige Verschmelzung französischer
dere stark empfinden. Dadurch
groben Urwienerisch und dem reinen Hochdeutsch, die in
Klarheit und prickelnden Pariser Esprits mit Wienerischer
Dichtungen Schnitzlers auch weit
der Welt, aus der Schnitzler seine Lieblingsstoffe nimmt,
Liebenswürdigkeit, Wienerischer Liederlichkeit, Wienerischer
der dunkle Hintergrund des
gesprochen werden. Der Geist dieser Sprache ist es, der
Traulichkeit und Wienerischem Humor, kurz, mitallen Stoffen,
rdem sie sich abspielen und dessen
ihm den Charakter, die Gesinnungen und die Ansichten
welche die Atmosphäre Wiens sättigen und ihr die an¬
bei Schnitzler immer fühlt, auch
der Menschen zuflüstert, die diese Sprache sprechen. Die
heimende Molligkeit und das charakteristische Acoma ver¬
leuchten laßt, adelt sie — beinahe
Sprache, die Lieutenant Gustl spricht, läßt den Dichter
leihen. Sind es doch die Franzosen, welche die Novelle
mit so unfehlbarer Sicherheit, als ob er selbst Lieutenant
und die Komödie befähigt haben, das nur mit den feinsten
das werden auch solche nicht be¬
Gustl wäre, die Gedanken und Stimmungen finden, die
Nervenspitzen zu empfindende, begrifflich schier undefinier¬
diskrete Künst die höchste Bewun¬
dieser Mensch in dieser Situation haben muß. In der
bare individuelle geistige Fluidum einer Stadt und einer
e ziemlich eng begrenzte. Es ist
glänzenden Satire „Literatur“ spricht ein Sportaristokrat
Bevölkerung mit erlesener Sprachkunst zu erhaschen
deren Mittelpunkt der von Schnitzler
mit seiner Braut über die Gesellschaft, in der sie sich ge¬
und festzuhalten, so daß der Leser des Buches
bildete Typus des „süßen Mädels“
troffen haben. Von zwei Literaten meint er, sie müssen
Stadt, aus deren großem Leben
in der
mitten
lagen, daß Wolzogen diesen Typus
Juden gewesen sein. Warum? „Weil's immer so Witz'
Episode ge¬
oder novellistische
eine dramatische
me mag von ihm sein, aber der
g'macht haben.“ Eine ganze Weltanschauung ist in diesem
schildert wird, zu wohnen und ihre Atmosphäre
ahrheit ebenso alt wie die moderne
flüchtigen Zuge skizziert.
zu atmen glaubt. Alle europäischen Nationen haben den
hes Gretchen ist die Urgroßmutier
Immer wieder wird an Schnitzler von der Kritik die
Franzosen diese Technik abgelernt und sie den besonderen
Mädeln“, und Melitta und Hero
Aufforderung gerichtet, sich dem sozialen Lustspiel großen
Zuständen, die sie zu schildern hatten, angepaßt, die
er Tracht und fünffüßigem Jambus,
Stils zuzuwenden. Er hat ihr bisher nicht entsprochen,
großen russischen Romanciers nicht minder als die
b Schnitzler diese seine Lieblings¬
obwohl in Wien ein wahrer Ueberfluß an Lustspielstoff
nordischen Dramatiker. Ibsen ohne Dumas und Turgen¬
nmittelbar aus dem Wiener Leben
angehäuft ist. Weshalb wohl? Zunächst vielleicht, weil
jew ohne die George Sand ist ebensowenig denkbar als
Ich zweifle daran. Dem wienerischen
er zu sehr Poet und Lyriker ist, um ganz Satiriker sein
Ferdinand v. Saar ohne den Schüler der Franzosen
auch der bornierteste Antisemit
zu können. Die Melancholie, das Erbteil aller tieferen
Turgenjew und — Schnitzler ohne Guy de Maupassant.
cht wird abstreiten können, ist eine
und feineren Geister in dem angeblich so fröhlichen und
De liegt nicht Nachahmung vor, sondern Abstammung
ht, die auf einen anderen Ursprung,
gemütlichen Wien, umspinnt auch ihn. Aber um ein Lust¬
und Familienähnlichkeit. So dürfte auch das „süße
Schnitzler, wie viele seiner Nach¬
spiel, wie man es von ihm erwartet, schreiben zu können,
Wiener Mädel“ als lokale Spielart des Pariser Studenten¬
literarische Wien überschwemmen,
müßte er vor allem für viele, sehr viele Dinge und Zu¬
liebchens, der Grisette, anzusprechen sein; dieses angenehme
seiner ersten Zeit, gewiß lieber ein
stände Sinn und Interesse haben, die ihn oder doch den
Geschöpf ist also, wie oben angedeutet, auch ein wenig
ser Autor gewesen als ein Wiener.
Dichter in ihm ganz kalt lassen. Er scheint Auge und Herz zu
literarischen Ursprungs.
in welcher er seinen ersten großen
haben nur für drei Dinge fürs Lieben, fürs Sterben
Obwohl bei den meisten Sachen von Schnitzler in
diese Sehnsucht, dieses der sozialen
und fürs Komödiespielen. Bei allem Raffinement der Kul¬
Stoff und Stil ein gewisser Parallelismus mit Pariser
Er entstammt, eigentümliche Heimweh
tur ist er in dieser Hinsicht fast wie ein Poet des Vor¬
Urbildern nachgewiesen werden könnte, so muß man ihm
Arthur Schnitzler sich Anatol taufte,
märzes. Deshalb, glaube ich, läßt er die Satiren, die
doch zugestehen, daß er die angeeigneten Formen mit
kin Schauspieler, der sich leiblich und
man ihm zutraut, ungedichtet; ober vielleicht ist es die
echtem, frisch pulsierendem Wiener Blut zu füllen gewußt
Hrenze der Identifizierung in eine
schärsste und diskreteste Satire auf die geistige Kultur
hat. Zwar nicht das ganze Wien, aber Geist und Wesen
hsein innerstes, wienerisches Selbst
Wiens, daß ein Kopf wie Schnitzler in einem Zeitalter
gewisser Schichten und Koterien der Wiener Gesellschaft
eumzufärben und sich fortan so zu
wie dieses uns von nichts zu erzählen weiß als vom
lebt in Schnitzlers Büchern und Komödien. Der Leser
gehorener Anatol oder Raoul und
Boulevard und der Prater das Bois fühlt sich immer wieder froh überrascht, in Schilderung „süßen Mädel“, vom Sterben und von der Illusion in
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er ein ganz klein wenig anaffektierten der Natur und der Menschen gewisse typische Züge der allen Formen.