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2. Guttings
(enenenaugabe sine Ciewahr.)
Ausschnithaus Gegenwart, Berli
3101914—
vom:
Dr. Theodor Reik, Arthur Schnitzler als
Psycholog. (Minden in Was
von J. C. C. Bruns.)
Der Verfasser des vorliegenden Buches, ein
Schüler des bekannten Wiener Psychoana¬
lytikers Sigmund Freud, betrachtet alle Ge¬
stalten der Schnitzlerschen Muse als Patienten
eines pathologischen Speziglarztes. Er lehnt
von vornherein jede ästhetische Beurteilung ab,
und gibt vor, nur wissenschaftliche Zwecke (im
Sinne medizinischer Untersuchungen) zu ver¬
folgen. Tatsächlich artet jedoch die vorgetäuschte
Wissenschaftlichkeit, die durch Fachausdrücke,
wie „Symptomenkomplex“, Zwangsneurotiker“.
„Paranoiagenese", „seelisches Projektions¬
phänomen“, „Narzißmus“ usw., betont wird,
in eine ganz unwissenschaftliche Motivdeuterei
aus. Sicher gehört Schnitzler zu den aller¬
feinsten und eindringlichsten Kennern der Men¬
schenseele, sicher verwertet er in seinen Schrif¬
ten viele psychischen Vorgänge und Zusammen¬
hänge, die nur ihm als Arzt vertraut sind,
und sicher enthält das Buch von Reik manchen
interessanten Hinweis auf solche Verwertungen.
Aber es geht unbedingt zu weit, den Lesern
Schnitzlerscher Werke suggerieren zu wollen,
sie hätten hier lediglich ein Saboratorium
voller pathologischer Versuchsobjekte vor sich.
Selbst wenn der Dichter gelegentlich medi¬
zinische Beobachtungen in seine Motivierungen
verwoben haben sollte, bleiben sie doch, solange
nicht ausdrücklich unser Augenmerk auf sie ge¬
lenkt wird, für den Leser absolut unwesentlich,
ja gleichgültig. Daß wir jeder geschilderten
Bergbesteigung einen symbolischen Sinn unter¬
zulegen hätten, daß die Benutzung eines Man¬
tels stets Hintergedanken verberge, daß Zu¬
neigungen zu Gouvernanten und Tanzlehrern
nur geheime Inzestwünsche ausdrückten, ist un¬
bedingt zu bestreiten. Die Vorzüge des Buches
liegen in gut beobachteten, zum Teil trefflichen
psychologischen Einzelheiten, aber seine Gesamt¬
tendenz ist als verfehlt abzulehnen.
Dr. Wishelm P#ze.
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Russchnit aus OeSde
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vom:
Cedrx
Arthur Schnitzler als Psycholog. Von Dr. Theodor
Reik. J. C. C. Bruns Verlag, Minden i. W.
Dieses Werk hebt sich von den vielen Büchern,
die über Schnitzler geschrieben werden, sehr vorteilhaft
ab: es behandelt die Psychologie des Dichters von
einem ganz neuen Standpunkte, abstrahiert vollständig
von der Literatur und will nur wissenschaftlichen
Zwecken dienen. In dreizehn Aufsätzen versucht
Theodor Reik, den man von seiner feinen Arbeit über
Flaubert bereits kennt, ein psychoanalytisches Bild
von Schnitzlers Schaffen zu geben. Dass er dabei
öfter von der Betrachtung der Schnitzlerschen Psycho¬
logie in die psychologische Erklärung seines Dichtens
abirrt, war bei der interessanten Arbeit eigentlich nicht
zu vermeiden. Denn nach dem Prinzip, das Morelli
in der Malerei so erfolgreich verwendet hat, sucht
Reik gerade aus den kleinsten und unbeachtetsten
Merkmalen die charakteristischen Differenzierungen des
Dichters zu zeigen. Und auch seine Erfolge sind
überraschend. Man staunt dann, wie man an manchen,
jetzt so einleuchtenden Parallelen vorbeigehen konnte,
wenn der Verfasser das „Reigen“-Motiv in Variationen
bei „Anatol“ im Weiten Land“, in der „Hirtenflöte“
und in anderen Novellen nachweist, wenn er das
psychopathische Prinzip von der „Allmacht der Ge¬
danken im „Einsamen Weg“, bei „Frau Berta Garlan“
beim „Puppenspieler“, im „Weg ins Freie“ in der
Weissagung“ usw. zeigt. Aber auch die andern Ab¬
handlungen, wie besonders die „Ueber das Problem des
Todes“ und über die „Formen des Inzestmotives“ sind
ausserordentlich fesselnd und interessant. Das Buch
war für die Wissenschaft bestimmt. Aber wer den
Dichter Schnitzler liebt, wird es lesen wollen. Und
darum muss es seinen Weg machen!
Harry.