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2. guttings
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mehr gewesen, wie überhaupt die Entwicklung von
den Urzeiten her stetig den Weg von der Arbeits¬
losigkeit zur Arbeit genommen hat. Aber es gab
noch eine stattliche Anzahl von Menschen, ganze Ge¬
sellschaftsklassen, die, unberührt vom Zwang zu be¬
ruflicher Tätigkeit, ein wohlig durchwärmtes Da¬
sein führten, in dessen Klima eine Art besonderer
Kultur gedieh. Oesterreich namentlich war es,
dessen nicht nur begüterteste Schichten sich vielfach
den Luxus gestatten durften, nichts zu tun, als ihr
Leben zu leben, berufsmäßige Genießer zu sein
Diese mit der berühmten Schlamperei eng zusam¬
menhängende seelisch-kulturelle Eigentümlichkeit,
an der übrigens alle Nationen des Staates teil.
hatten, hat dem alten Oesterreich jenen Charakter
gegeben, der es zum Gegenstand einer wohlwollen¬
den Geringschätzung gemacht hat. Aber mit der
Donaumonarchie ist auch die alte Welt der Gemüt¬
wenn auch frei von der täglichen Trdesgefahr, doch
eine härtere Zeit werden zu wollen. Sie muß, wie
mit so vielen anderen luxuriösen Dingen, auch mit
dem Recht auf das Nichtstun aufräumen, und schon
hat die tschechische Regierung einen Gesetzentwurf
eingebracht, der die Arbeitspflicht einführt. Für
die Müssiggänger werden bittere Tage kommen.
Keinem ernsten Menschen wird es einfallen,
die Nützlichkeit, die Notwendigkeit eines Arbeits¬
pflicht=Gesetzes zu bezweifeln, seine nicht nur
soziale, sondern auch moralische Bedeutung zu be¬
streiten. Es ist nicht mehr als eine ironische Senti¬
mentalität, wenn uns eine wehmütige Erinnerung
an die Zeiten beschleicht, da selbst mäßig bemittelte
Menschen ihre Tage in der angenehmen Dämme¬
rung des Kaffeehauses, bei Spiel und Gespräch ver¬
bringen durften. Es waren nicht die dümmsten und
stumpfsten Menschen, die solcherart die Zeit tot¬
schlugen. Sokrates, der ein notorischer Müssig¬
gänger war, hat, aus seinem Nichtstun heraus,
der Welt die ewige Erinnerung an eine berau¬
schende Persönlichkeit, an einen der größten Kon¬
versationskünstler gespendet. Die Romanfiguren
Balzacs sind fast durchwegs Nichtstuer, deren ein¬
zige Berufsarbeit darin besteht, sich durch das Er¬
gattern einer Rente jeden Berufs zu entschlagen.
Arthur Schnitzlers Helden haben meist nichts
anderes zü run, als mit psychologischem Witz in die
Untergründe ihres Seelenlebens zu tauchen. Alle
diese Fauleirzer enfalten trotzdem eine ganz be¬
trächtliche unbewußte Produktivität. Kann man es
bestreiten, daß ihre Arbeitslosigkeit Werte ge¬
schaffen hat? Aus der Beziehung zwischen Mann
und Frau erwachsen die schönsten künstlerischen
Blüten, das Feuer, das die Frau entzündet,
schmiedet Gestaltungen, die eine Welt entzücken,
Casanovas Lebensgang allein ist ein Werk, das die
Nachwelt zu ergötzen nicht aushören wird. Der
Verkehr mit Frauen aber braucht Zeit, nur ein
Nichtstuer kann ihn so pflegen, daß er zur Kunst¬
form wird. Eros ist ein Gott der keinen anderen
neben sich duldet, weder Mexkur, den Gott des
Handels, noch Hephästos, den Gott des Handwerks,
nicht einmal Apollo. Nur in einer Atmosphäre der
süßen Beschäftigungslosigkeit keimen die schönen
Blüten einer durchgeistigten Erotik auf.
Geben wir uns keiner Täuschung hin: die
frohen Tage des zwecklosen Spazierengehens, der
sinnvollen Ueberflüssigkeiten wollen Abschied von
uns nehmen. Der Stammtisch, an dem Tag und
Nacht Männer und Frauen saßen, deren einziges
Geschäft es war, die Rätsel des eigenen Ich zu er¬
forschen, wird veröden. Schnitzlers Barone werden
nicht mehr etliche Mal täglich die Toilette wechseln
und, in ihren schönen Gärten mit schönen Frauen
lustwandelnd, geistreiche Worte prägen, sondern,
des Adels entkleidet, als französische oder englische
Korrespondenten, als formgewandte Akquisiteure
einen bürgerlichen Beruf suchen. Die Götter flichen
aus einer Welt, die es selbst verschuldet hat, daß sie
nunmehr der Arbeit wird leben müssen. Die im
bürgerlichen Sinne zwecklose Lebensführung hatte
unbestreitbar ihren Reiz. Berechtigung hätte
sie erst, wenn alle Menschen an ihr teilhaben
könnten. Von diesem paradiesischen Zustand aber?
sind wir weiter als je entfernt. Und darum muß,
statt eines geistreicheren Wortes, die Banalität in;
Geltung hleiben, daß Müßiggang aller Laster
Anfang ist.
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