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2. Cuttings
burg, Toronto.
FRCHe=SAdschau,
65
Ausschutt
FA1915
vam
50
Deutsch=Österreichischer Spielplan.
Von Geh. Hofrat Dr. Karl Zeiß, künstlerischer Leiter des königl.
Schauspielhauses (Dresden).
Was immer auch die Folgen des gewaltigen Krieges sein mögen, der Deutsch¬
land und der Osterreichisch=ungarischen Monarchie aufzezwungen worden ist, das
eine wissen und fühlen wir alle: die alte Kulturgeminschaft der beiden Reiche
und ihrer Völker ist fester und unauflöslicher geworden als sie je zuvor war. Denn
nun wird „Potsdam“ auch in Wien verstanden und die „norddeutschesten Menschen
wissen jetzt, daß auch in den aseinsfrohen Völkern des Habsburgischen Kaiser¬
staates der kategorische Imperativ der Pflicht lebendig ist und in einem einheit¬
lichen Willen zum opferfrohen Einsetzen der höchsten menschlichen Süter in der
Stunde der Gefahr sich offenbart.
Das Theater, das in allen Zeiten ein getreues Spiegelbild der Volksseele
war und ist, wird nach Beendigung des Krieges weit mehr noch als zuvor diese
unlösbare Kulturgemeinsamkeit zum Ausdruck bringen. Wir werden wie im Wirt¬
schaftsleben auch im literarischen und geistigen Schaffen, nicht nur aufeinander
enger angewiesen sein, sondern aus neugeweckter Liebe und gegenseitigem Ver¬
stehen tiefer und fester ineinanderwachsen. War es bisher schon seltsam genug, auf
diesem Gebiete einen spezifisch österreichischen Standpunkt zu vertreten und mutete
es uns fast zopfig an, wenn wir von deutscher und österreichischer Literatur als
getrennten Wesenseinheiten sprachen, so wird dann in all diesen Unterscheidungen
kaum noch der Rest einer Berechtigung sein. Das deutsche Theater der Zukunft wird
und muß ein lückenloses Bild von dem dramatischen Schaffen beider Länder geben,
und wir wollen in kommenden Tagen und Jahren lieber unsere literarischen Ent¬
deckungen zu Hause, in unseren deutschen und österreichischen Ländern und Gauen
als in wallonischen oder keltischen Sprachgebieten machen. Wir wissen nicht was
kommen wird, darin haben die Vorsichtigen ohne Zweifel recht. Aber man muß
sich doch auch über das Künftige seine Gehanken machen können und den Glauben
an die Zukunft kann uns niemand nehmen. So glauben wir denn, daß unsere
Dichter in beiden Reichen, die heute (sie seien dafür gepriesen!) in Ergriffenheit
vor den ungeheuren Ereignissen noch schweigen, den Ruf und das Merkwort finden
werden zu neuen großen Schöpfungen. Daß die Dichter, die unser modernes Drama
so verfeinert, künstlerisch so reich und vielvermögend gemacht haben, jetzt noch schweigen,
scheint mir gerade ein Beweis, daß hier ein stilles neues Wachstum anhebt. Uns aber,
die wir im Lande bewundernd den Taten und Opfern unserer kämpfenden Volks¬
genossen mit allen Gedanken und Sinnen folgen, prägt sich doch ganz unwillkürlich
die Überzeugung ein, daß der große sittliche Aufschwung unserer Völker, das Auf¬
brechen der tiefsten Quellen des Menschentums mitten im grausigsten Kampf, daß
alle Züge von Opfermut, von Treue und Güte, von Frohsinn, von Erbarmen und
Hilfsbereitschaft, von wahrer Religiosität einen Widerhall finden müssen in der höchsten
Form der Dichtkunst: dem Drama. Und wer weiß denn, ob da draußen in den
Schützengräben des Argonnenwaldes oder in Polen sich nicht Dichter formen und
vorbereiten, im Anblick jener übermenschlichen Heldentaten, inmitten all der Zeugnisse
schönsten Menschentums, im engsten Zusammenhang mit der Urmutter Erde und der
umgebenden Natur, in der äußersten Spannung und Erregung aller seelischen Kräfte.
Dem deutsch=österreichischen Spielplan der Zukunft gelten unsere tiefsten Wünsche
und schönsten Hoffnungen. Damit hier aber nicht nur vom andächtigen Schwärmen,
sondern auch vom guten Handeln geredet werde, soll nun auf den Versuch eines
solchen Spielplanes, wie er schon in der Vergangenheit einer reichsdeutschen Bühne
vorliegt, hingewiesen werden. Im künstlerisch=dramatischen Mittelpunkt eines Landes,
das ja nicht nur geographisch an die Osterreichisch=ungarische Monarchie angrenzt,
sondern auch politisch, kulturell und wirtschaftlich besonders eng mit ihr verknüpft