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2. Guttings box 38/1
irgenswann oder irgendwie einen mildernden Schein zu
des Wiener Bruders in Apoll zusammen. Es war eben um
schlag der Rasse ge
wahren, der vielmehr nichts Grobes grob genug, nichts Nack¬
die Jahrhundertwende. Die Aera des „konsequenten Natu¬
deutschen Kulturtat
tes nackt genug sein konnte, die längst alle Feigenblätter auf
ralismus“ feierte sowohl in dem von Otto Brahm genial ge¬
vielleicht auch Erli
den Kehrichthausen einer angeblich überholten Ethik geworfen
leiteten „Deutschen Theater“ als auch in der „Freien Bühne“
sich seibst in dem #
hatte, mußte dieser Gegenwart erscheinen, daß just sie in
schreiben konnte.
einer von den besten und tapfersten Geistern des „in litteris
selbstverspottender Scheinheiligkeit vor etlichen Jahren
#tartibus“ revolutionierenden Deutschlands redigierten Zeit¬
Renate Fuchs“
Arthur Schnitzler den hochnotpeinlichen Prozeß machen
schrift, eine Art künstlerischer Wiedergeburt. Auch Ludwig
Kühnheit seines En
durfte, weil eine junge Bühne es unternommer hatte, ohne
Fulda gehörte zu den Parteigängern der neuen Richtung,
dir Konsequenz ein
Wissen und Willen des Dichters die letzte Szene des Anatol¬
wenn er euch immer, seiner ganzen Anlage entsprechend,
latesse durchgest
Zyklus, den Reigen“, aufzuführen. Arthur Schnitzler hat
wies auf ihn a
wohltemperiert und bürgerlich moderiert blieb Mit einer
eben dieses Dramolet, diesen musischemusikalischen Schlu߬
ausgesprochen formalen Begabung ausgerüstet. schuf er zu¬
literarischen Fein
akkord seinerzeit ausdrücklich von der Bestimmung für das
vörderst heitere, wenn auch gesanklich nicht allzu tief lolende
nellen und abwegig
Theater ausgeschlossen und nur in einem Privatdruck einigen
Versdramen, sowie lyrische Gedichte von Ncythmus. Form¬
zeigt alle späteren
wenigen Freunden zugänglich gemacht. Trotzdem, nachdem
vollendung und kultiviertem Geschmack. Ein Iufall sollte
manns. Offenbar
längst Wedekind mit seiner „Büchse der Pandora“ oder seinem
niken, vergilbten 3#
ihn jählings auf den Zenit eines nie wieder erreichten
„Schloß Wetterstein“ die Schanbühne und die Schaulustigen
Ruhmes schnellen: Er hätte in seinem Drama „Der Talis¬
interessanten Krimi
genugsam abgehärtet haben durfte: und nachdem bereits eine
man“ das Andersensche Märchen vom „König ohne Kleider“.
schaftlich fest in
neue, viel raditalere Gensration — die der Toller, Brecht und
verarbeitet und dichterisch trauskignriert, und die auch poll¬
dann als Vorwurf
Bronnen oder gar des faftigen Rheinländers Zuckmayer —
lisch aufgewühlte Stimmung jener Zeit kam seinem überaus
tristischen Gemälden
im Aufsteigen war, gang abznsehen von den mödischen Aus¬
lodert anscheinend
graziösen und in flüssigen Versen von schmeichelnder Anmut
schreitungen tänzerischer Ruditäten und der mit Zoten über¬
geschriebenen Schanspiel bereitwillig entgegen. Bei jener
selbst zu, verbr
ladenen Revnen, landen sich doch etliche alte Weiber beiderlei !
Szene, wo höfische Schranzen in erstarrter Devotion vor
heute hinter ih
Geschlechts die an Schnitzlers „Reigen“ das übliche, vom Ge¬
einem unbekleideten König erstarben, bis eudlich die erlö¬
nur aus solchen
setz vorgeschriebene „Oeffentliche Aergernts“ nahmen und so
sende satirische. Pointe fiel: „Er bleibt ein König auch in
Bald nach seine
mit eine forensische „esue eelehre“ ins Rollen brachten, die
Unterhosen“, da brauste stürmischer, nicht endenn llender
erregt, sondern na
uns wie ein arotester Anachronismus anmutete. Wenn wir
Applaus durch das Deutsche Theater, das Fuldas gefälliges
Scharfsichtigen gem
heute das Revertoire der Reichshauptstadt und der großen
Werk durch eine Meisterdarstellung geehrt hatte. Von diesem
den änderen in d
Provinzbühnen betrachten und mit Stannen wahrnehmen,
„Der Moloch“, „Alt
Tage an war und blieb Ludwig Fulda eine euroväische Be¬
was alles an öffentlicher Stätte, selbst unter Zulassung
rühmtheit. Seine Dramen, obwohl zumeist nur in der Form
"„Der ge
Jugenblicher, geboten werden darf, so fassen wir nns schier
bestechend und betörend, ohne den Tiefgang besondexer Ibeen,
Jah
„Caspar
fassungslos an den Kopf in dem Gedanken, daß dieser
(wieder der aufge
wurden von den ersten Bühnen ebensogern alzeptiert, wie
Monstre=Prozeß tatsächlich erst vor wenig
1 Jahren
asser
„Wie
vom Publikum beifällig ausgenommen Einx Revision dieser
die öffentliche Meinung bis zur Weißglut erhitzt hat. Und
Betra
führenden Stellung vollgog sich eigentlich erst in den letzten
wie
das resignierte, skeptische, weit über die Dinge des Alltags
sibet
zehn bis fünfzehn Jahren, wo Fulda als schöpferischer Dra¬
erhabene Lächeln Arthur Schnitzlers selbst will auch uns an¬
ber,
##nd
17
matiker mehr und mehr in den Hintergrund geriet.
kommen angesichts der Wandelbarteit künstlerischer und —.
schaffen Exi
die Mit= und Nachwelt mag zu seinem eigenen
moralischer Metnungen Hentzutage würde jeglicher Bau¬
stehen, wie sie will: ein unvergängliches, ja unst
fisch, geschweige denn ein Jüngling, „der nicht mehr seine sech¬
Verdienst wird auch ihm bleiben. Wir sagten es sch
125
zehn Jahre“ hai, den Besuch des „Reigens“ wegen mangein¬
M
er sich frühzeitig als Meister der Form bemährte. Diese
der Pikanterie oder zu großer Harmlosigkeit schlechthin ab¬
rein individuelle Begabung kam ihm sofern zustatten, alsder
lehnen. Denn wir dürsen nicht vergessen, daß die vorge
Er
wie kein anderer deutscher Dichter, das Einsüblungsvermö¬
schrittene Jugend von heute gewohnt ist, kräftigere Ansprüche
und
gen in fremde Sprachen und fremde Kunstwerke besaß. Fulda
zu stellen. „On est toujours le réac ionnaire de quelqun“,
Waf
gewesen, der dem deutschen Volke eigentlich erst
sagt ein französisches Sprichwort sehr weise.
Na#
Molière geschenkt, Rostand erschlossen und noch viele andere
Arthur Schnitzler aber hat sich au seinem Wege weder
und
Dichter des fremdsprachlichen Auslandes zugänglich gemacht
durch Freund noch Feind beirren lassen. Er blieb weiterhin
woh
hat. Und zwar in einer so unübertrefflichen Form, daß nie¬
der Dichter der Liebe und des Todes, und seine Künstler¬
setzt
iaund, ohme es z# wissen, auf den Gedanken küme, es hande
schaft errang gerade in den letzten Jahren noch höchste
sich hier überhaupt um Kunstwerke fremder Kulturen und
Triumphe durch unvergleichliche Werke, wie beispielsweise
fremder Sprachgemeinschaften. Wir vermögen uns Molière
seln
die Novelle „Fräulein Else“ die, jedes Vorbildes und
er
heute kaum in einer anderen Uebertragung als in der Ful¬
jeder Nachahmung bar in der Tat die von den Zionswäch¬
daschen vorzustehen, ähnlich wie nns die Schlegel=Tiecksche
imä
tern der Kunst geforderte „unerhörte Begebenheit“ in sich
Verdeutschung Shakespeares zu #ins vationalen und geisti¬
die
schloß. Rings um dieses Kabinettstück einer über sich selbst
gen Besitztum geworden ist. Wie stark perankert aber muß
perft
hinausgewachsenen Kunst gruppierten sich andere, taum min¬
der Jnde Ludwig Fulda in deuischem Volkstum sein,
dab
der bewunderungswürdige Arbeiten wie „Die Komödle
um al einziger unter Millionen reinblütiger Germanen die
En
der Worte“
Hirtenflöte“. - ein pathetisches
deutsche Sprache so zu beherrschen, daß er in ihr Gefäß auch
sie st
Pandämonium sinnlich=übersinnlicher Triebe — .D
Fran
fremden Kulturbesitz zu gießen vermag, und des wir nicht
eigen
das Richters“ oder jüngsthin seine „Traulnnovelle“.
mehr zu unterscheiden vermögen: Was war franzätisch? Oder
dazu 9
Arthur Schnitzler vollendet demnächst sein 65. Lebensjahr.
was ist unser eigener Sprachgenius, der hier zu uns redet?
der zweib
Sein Schaffen aber verrät nichts davon, daß er der biblischen
Aus diesem Grunde wor auch gegen die Berufung Fuldas
de
schaffe“,
50
Altersgrenze naht. Er ist geblieben, der er war: ein Bild¬
die Dichterakademie nichts einzuwenden, denn sie wurde
setzung dient, wär
ner des Wortes von strengstem. künstlerischem Gewissen, ein
gerechtfertigt durch Fuldas Verbienst um deutsche Kultur und
worden ohne die
Neutöner, vielleicht sogar wider Willen ein Meister der
Sprache. Selbst, wenn mancher wähnen mochte, daß es durch
den großen Russen,
edlen Form, dem nur wenige zur Seite zu stellen sind, ein
hat. Aber auch diesel
eigene Leibtungen Ausgezeichnetere für diesen Posten geben
Mann von Geschmack und Selbstdisziplin, ein wenig wilde,
beiden Novellenbüch
wochte, muß man doch anerlennen, daß auch hier eine Mit¬
ein wenig morbide, aber niemals unliebenswürdig, ge¬
r Weudekre
arbeit am deutschen Geistesleben vorgelegen hatte, die den
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schweige denn ein Faustkämpfer in der Arena des Gei#es.
auf sich selbst fußende
Preisträger des Ehrenpreises nicht unwürdig erscheinen ließ.
Ein großer Puppenspieler, der gerne seine Marionetten tan¬
Daß der wohlfeile Witz der heutigen Stürmer und Dränger
dankende Dichterper
zen läßt und seine Freude hat an den „Masken und Wun¬
sönlichkeit von höhen
sich just an dieser Bernsung mit Wollust wetzte, war voraus¬
dern“ dieser erstaunlichsten aller Welten. Lece Poctal, nehmt
lungen, wie „Ober
zusehen und als ein Produkt aller Jugend, die das Recht
alles nur in allem!
Die preußsiche Dichterakademte hat
zur Intoleraus und Intrausignenz hat, nicht zu überwerten.
ten Bande des „Wen
durch seine Wahl sich selbst, nicht ihn geehrt
Massermgnn in den
Selbst wenn von Fuldas eisenen Witlen nichts auf die
Setz Panse
Birdim Pantheon der Unstertichkeit verzeichurt siehen.
Nachwelt übergehen sollte, als Mittler“= Goetheschen
Frmögeh. Eine tie
oder vielleicht noch
Sinn= dem deutschen Vaterlande gegenüber, als Mittler
fremder Genics wird er unvergessen bleiben.
der Darstellung, eine
Ludwig Fulda.
Schärfe der Beobacht
Ludwig Fulda, als Sohn eines wohlbegüterten Großkauf.
eignissen und Person
Jakob Wassermann.
manns zu Frankfurt a. M. geboren, hat schen dem ersten,
ihrem Bann entlassen
nur vierköpfigen Grenium der preußischen Dichteratademie
in diesem epischen
Auch Wassermann entstammt einer jüdischen Pairi¬
angehört. Seine Wahl erfolgte, obwohl seine Geltung in
ierfamilie des deutschen Südens. Er ist 1873 zu Fürth
aus ihm spricht und
der Oessentlichkeit sicher nicht unbesritten #st, und trotzdem
geboren, und fast all seine Dichtungen haben etwas von der
sprechen und sprießen
die heutige Generation deutscher Dichter und Denker, viel¬
Wesensart des Alemannischen, das in schroffem Gegensatz
den Glockengießer zu
leicht sogar geschlossen gegen ihn gestimmt hatte, de er ihres
sein Werk der Erde o
zum Ostelbischen steht. Auch ein deutscher Jude oder jüdischer
Geistes keinen Hauch verspürt hat und dier veren. Indessen:
Deutscher, (wie man Substantin und Adjektiv nun zu grup¬
den Büchern des „W
auch er hat Verdienste um das deutsche Schpistium die, allem vieren beliebts. der sich ebenfalls nur in Rutz und Freurmen
das Krieaserlehnis