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2. Cuttings
box 38/4
Nicht nur weil Hamlet infolge von
Rapierverwechslung stirbt, die Kö¬
nigin infolge von Gläserverwechslung
stirbt.... Hamlets Monologe nähern
sich, heute, dem Selbstverständlichen
... sie stellen die Fragen nicht, die
uns angehn. Ernste Köpse haben zu
erkennen, daß es albern wäre, sich in
den Umschwüngen dieser Gegenwart,
dieser stärksten bekannten Mensch¬
heitsepoche, zurückzuschrauben..
Wer die heutige Welt erfaßt, ist nicht
größer als Syakespeare: doch er ist
weiter. (Noch der dümmste der
Austre geger ist weiter als der ge¬
nialste der Schimpansen.)
Man müßte, so man bloßes Gerede
nicht machen will, von heutigen Ham¬
leimonologen einen Begriff schaffen.
Ich will es tun ... Man fordert ge¬
wiß nicht, daß Hamlet etwa mit der
Vorsehung Aussprachen liefere wie
die folgende, die ich gleich dichten
werde:
O, warum gabst du uns den inneren
Fortsatz?
Kaninchen haben ihn und denen nützt er.
Uns Menschen ist er zwecklos, ist er schäd¬
lich.
Mit Kosten operiert man uns am Blind¬
darm.
Und hieran sterben acht bis zehn Pro¬
zenit...
Das bitte nicht ... Doch exakter
dürften Hamlets Fragen sein ..
Hamlet würde, vertraut mit dem
Prinzip der Arbeitsteilung, heute
nicht mehr dem „Schöpser die Un¬
vollkommenheiten der unsaßbaren
Welt in die Schuhe schieben. Viel¬
leicht nur einem Unterbeamten; einer
Hilfskraft. Hamlei würde heut sa¬
gen:
Wer unser Los bestimmt — ist es der
Meister?
Nicht einer seiner vielen Assistenten?
in Vivisektor, ein Vazillenzüchter,
Müller Fünf?
Experimentbegierig —
Ein Dutzendassistent, höchst nachgeordnet
Der ganz vollkommenen Kraft; der sich
erst übt?
Und den wir (kritisch!) doch bewundern
müssen...
So ungefähr.

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——
gebotene Musikdramatik ab, erledigen
den Ochs von Lerchenau, die Mit¬
glieder der Familie Faninal, verlei¬
ben ihrem beseelten Hirn die Hosen¬
rolle des Helden ein, trinken das
schöne Terzett wie einen glänzenden
Schnaps in der Bar gewissermaßen
stehenden Fußes, haben dann noch
allenfalls etwas Zeit, um ein beleg¬
tes Brot zu essen, fahren an die
Spree zurück und treffen dort in der
dritten Morgenstunde mit bereicher¬
ten Erfahrungen ein. Sie gelangen,
sei es mit einem Nachtomnibus, sei
es mit einer verspäteten Elektro¬
bahn, sei es frevelhaftermaßen mit
einem Automobil, in ihre Wohnung
und setzen das berliner Leben fort
(nachdem sie ausgeschlasen). das sie
um ein paar Nachmittagsstunden
verkürzt haben. Dresden und Ber¬
lin sind nicht Hauptstädte zweier ge¬
trennter Königreiche, sondern nur so
weit entfernt, wie eine Fahrt ins
Theater. Nächstens kommt Hamburg
dran. Auch dört können die Berliner
den Rosenkavalier eher hören, als
bei sich — denn man munkelt, daß an
der Spree allerhand Einflüsse gegen
dieses Werk im Gange sind, weil der
erste Aufzug das Zartgefühl verletzt.
Die Magdeburger, offenbar eine
hartgesottene Sippe, haben es kalt¬
blütig und abgebrüht über sich er¬
gehen lassen, ohne zu protestieren.
Wie aber dem auch sei: der Unter¬
nehmer, welcher Insassen unsrer
Stadt für sechzehn Mark fünfzig hin
und zurück und in die Oper bringt,
während ein Unmusikalischer sieb¬
zehn Mark an die Staatsbahn zu
erlegen hat — dieser Kopf hat unsre
Entwicklung deutlich um einen Schritt
weiter gebracht. Unsre Zukunft
liegt, was die Privatvergnügungen
angeht, offenbar in den von einem
einzelnen Mann bestellten Sonder¬
zügen. So ein Zug kostet ihn, heißt
es, fünf= oder sechshundert Mark,
und dafür kann er soundsoviel Men¬
schen hineinpfropfen. Die Parkett¬
plätze kriegt er vielleicht auch mit
Rabatt — und durch das Zusammen¬
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