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2. Cuttings
[„Lokalen Teil“ ist der von Leben geschüttelte Künstler, der betteln sisländischen Heldenjungfrau „Astrid“ zeitgenössisches Interesse zu
gehen muß, sich aufhängt oder sich der kapitalistischen Gesell= erwecken. Der Reiz lyrischer zarter Ausmalung eines romantischen
schaft als Lohnkuli in irgendeiner Gestalt verschreiben mußte, weil Stoffes, den „Gawän“ noch hatte, fehlt dem Waffengerassel der
„Astrid“. So konnte auch Wintersteins sorgfältige Regie
er von Schönheit, Prinzipien und Idealen nicht sait wurde, eine
und Mary Dietrichs groß angelegte Darstellung der rach¬
stehende Figur. Auch der darbende Literat, für den die bürgerlich¬
süchtigen, um Liebe betrogenen Heldin nur kalte Bewunderung
kapitalistische Presse den Klingelbeutel herumgehen läßt, sofern er
für ein mit kalten Hämmern mühsam geschmiedetes Dichtwerk
natürlich politisch unverdächtig ist. Der Fall hat jetzt wieder in
eines pathetischen Schwärmers erwecken.
Berlin stattgefunden. Ein Komitee „klingender“ Namen erließ
Zwischen dem pathetischen zeitfremden Romantiker und dem
leinen Aufruf für die begabte Dichterin Else Lasker¬
idealen Verseschmied einerseits und dem modernen sozialen
Schüler, die sich in größter Not befindet. Zahlreiche „führende“
Dramatiker, der Auge und Sinn hat für das Brausen unsrer ge¬
zeitungen, die wegen ihres Börsenteils ausschließlich vom mam¬
waltigen Kampf= und Uebergangszeit. liegt in der geschäftskundigen
nonistischen Bürgertum gelesen werden, haben jenen Appell an
tantiemefrohen Mitte der Possenschreiber: der Zeit¬
nie Wohltätigkeit zugunsten des darbenden Geistes verbreitet. Mit
ereignisse witzig glossiert, der es versteht, technische Erfindungen, die
velchem Resultat? Das „Berliner Tageblatt“ quittiert über
die Sensation der Menge bilden, der leichten Muse dienstbar zu
11 Mark 5 Pfennig! Gespendet von zwei Leuten! Ist ein kläg¬
machen. Ja ja, die Zeit ist da, die Zeit ist reif. Die Zeit, die aus
licheres Fiasko denkbar? Der „Vorwärts“ hatte recht, als er das
der die hohe Literatur ablösenden Pantomime das stumme Licht¬
moralische Fazit zog: „In Berlin sitzen allein viel hundert Nabobs,
spiel geboren hat, das dem gesprochenen Drama mit dem über¬
die ein Vermögen von Millionen kommandieren, Protzen, die sich
flüssigen Apparat von Wörtern, Gedanken und Ideen langsam,
nicht eine Minute besinnen, Tausende hinauszuwerfen, wenn es
aber sicher den Hals abdrehen wird. Die Zeit ist da, die Zeit ist
gilt, ihrer Großmannssucht zu schmeicheln oder ihrem Nervenkitzel
reif, die dem „Film=Shakespeare“, dem „Kurbel=Goethe“, dem
zu frönen! Für das darbende Kunstproletariat aber haben sie
„Knipsen=Ibsen“ gehören wird, wie's in der erfolgreichen Posse
nichts übrig — höchstenfalls einige Bettelgroschen, wie sie sie bei
[Der Filmzauber ebenso aufrichtig wie beziehungsreich heißt.
einem gewerbsmäßigen Schnorrer aus der sogenannten bessern Ge¬
Der Film schwingt traumphierend sein Siegeszepter und wie
sellschaft niemals zu verabreichen sich getrauen würden.“
immer und überall schreitet auch hier die Reichsintelligenz=Zen¬
Die Berliner Theater soweit sie der Pleitegeier noch
nale an der Spitze der Kulturentwicklung. Berlins Verfilmung ist
nicht aufgefressen hat, arbeiten fleißig in leichter und ernster
Literatur. Das Deutsche Theater hat wieder den neuen bereits recht fortgeschritten. Dramatiker, Filmfabrikanten, Kien¬
toppbesitzer schließen Kartelle zur Eroberung der dramatischen Kunst
Arbeiten zweier Dramatiker von Rang zum Worte verholfen, dem
durch das stumme Lichtbild. Die ernstesten dramatischen Dichter,
Schauspiel „Der Kampf ums Rosenrote“ von Ernst Hardt und
deren Geschäft nichts, sittliche Hebung der Massen alles ist, wie
dem Drama „Astrid“ von Eduard Stucken. Hardt ist der
der edle Paul Lindau und Hermann Sudermann der
größere Theaterpraktiker, Stucken der größere Dichter und Künstler.
Moralische, sind unter die Filmologen gegangen und haben ein¬
Hardts Schauspiel ist im Motiv ziemlich reaktionär und abgetan.
gesehen, daß nur der der zeitgemäße Dramiker ist, der mit dem
Die abgegriffensten Typen geben sich hier wie auf einer Masken¬
Kinobesitzer Arm in Arm sein Jahrhundert in die Schranken fordert.
redoute ein Stelldichein und begrüßen sich gegenseitig als alte Be¬
Lange dauert's nicht mehr, dann gibt's in den europäischen Gro߬
kannte aus vergangenen Epochen der deutichen Gesellschafts= und
städten Reinhardtsche Lichtspiel=Tournees, in
Aufklärungsliteratur. Da ist das süße Mädel Käthe, ein Opfer
denen der rührige kleine Napoleon des modernen Theaters alle
ihrer Triebe und ihrer anschmiegende Gutherzigkeit; da ist der
Klassiker und Moderne und den Parzival zusammen im stummen
nihilistisch sich gebärdende Theater=Sogtaldemokrat; das verkannte
großmäulige Schauspielergenie; das „patriarchalische Mädchen“,Schattenspiel vorführt. Und die Theaterdirektoren, besiegt vom
das aus altmodischer kindlicher Pietät auf ihr weibliches Selbst=König Film, sagen Pleite an. ...
Um Schnitzler auch beainnt es zu herbsteln. Er gehört
bestimmungsrecht freiwillig verzichtet, usw. Hardt, der preis¬
n Theaterleben.
zum 1#ond zu ergrauen anfängt,
gekrönte Dichter von „Tantris der Narr“, hat die kostümierten
will er auch in seinen Stücken die süßen Weaner Mädels, die
Ideenträger technisch geschickt gruppiert, aber die Unklarheit der
Nachdruck verboten
Liebelei und all die reizvollen Themen einer feingeistigen Genießer¬
These ist größer als der sprachlich=poetische Stimmungsrausch,
kommerzialisierte Gesellschaft
welt verlassen, mit denen er so oft uns dichterisch entzückte. Er hat
der dem Stück entströmt.
Theateragenturen und Polizei¬
sich dafür, wie man das in niedersteigenden Jahren so gern tut,
Einer der zeitfremdesten Dramatiker ist Stucken. Er schweift
ndiger, wie den Spender des
dem sogenannten Ernst des Lebens, dem problematischen Geschäft
in germanischen, isländischen und altenglischen Sagenkreisen umher
eals, den schaffenden Künstler.
der Problemdichtung ergeben, wie seine in Berlin und München
Ernde Atelier=Bewohner, Künstler=lund versucht vergebens, für König Artus seine Tafelrunde
en Romanen und Novellen im („Gawän“) und für das blinde Wüter der männermordenden lgespielte, in Wien andauernd verbotene fünfaktige Komödie
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