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2. Cuttings
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Bühne und Welt.
dennoch an einer wirklichen Literatur, einem, den Zug und das Wesen der Zeit nur annähernd
verkörpernden Stil gebrach. Diese Schaffensperiode brachte alle Attribute dichterischer Wirkung.
auf: Kraft und Innigkeit, Geist, Satire, Dollendung der Form, Unmut und Schwung, Schlichtheit
und psrchologische Tiefgründigkeit. Und doch, den tiefgehenden, den Geschmack gleichsam auf¬
wühlenden Erfolg brachte keines der erfolgreichen Werke der letzten Literaturperiode hervor.
Dieser war einem Dichter beschieden, der durchaus herb, dem Durchschnittsgeschmack vielleicht sogar
ungefällig, geradlinig und den Launen der Tagesmoden gegenüber seltsam unempfindlich und
harthörig erscheint: Karl Schönherr. In aufsteigender Linie bewegte sich sein Erfolg als das
Bild eines literarischen Ruhmes, der in einer tiefen Redlichkeit wurzelt, in einer in sich selbst
abgeschlossenen, von Geschmackseinflüssen unbeirrten Persönlichkeit.
Mit einem Andreas=Hofer=Drama be##in Schönherr seine dramatische Laufbahn. Wie die
meisten jungen Calente von der Kritik mit lauem Wohlwollen oder mit jener Ironie auf¬
genommen, die gern am fremden Werk den eigenen Geist erprobt, von einigen sogar mit dem
radikaleren Dorgang des Mausetotmachens bedroht. Der Name Schönherr hatte damals noch
keinen Klang gewonnen, und der Dichter mußte im stillen ruhig weiterschaffen. Ob durch das
kritische Verständnis wesentlich ermuntert, bleibt freilich dahingestellt. Dann kamen „Die Bild¬
schnitzer“, diese kleine Meistertragödie, schon ganz aus dem festen Material der späteren Schön¬
herrschen Kunst gebildet. Eine Tragödie armer Leute, ein erschütternder Lebensausschnitt, durch
eine kleine Luke gesehen. Da war kein Zuviel, kein Zuwenig. Mit der Schlichtheit guten, red¬
lichen Handwerks war hier eines Dichters tiefes Fühlen zum Kunstwerk gefügt.
Im „Sonnwendtag“ spielt schon die Außenwelt, der Kampf der Zeit hinein in die enge
Stube. Die kräftige Tragödie klingt in eine wundersam tiefe, aus Herz greifende Szene aus.
Wie die alte Rofnermutter, vom Schicksal in ihrem tiefen Glauben enttäuscht, den Altar der
Gottesmutter stumm und lautlos abräumt, die heiligen Dinge, die sie ein Leben lang gehegt
und gepflegt, wortlos in die Cruhe sargt, da wurde eine der tiefsten Wirkungen alles Dramat schen
lebendig: die wortlos, aus den Ereignissen allein wirkende Tragödie, der künstlerisch vollendetste
Ausdruck lebendiger Lebensschilderung. Die Wortkargheit Schönherrs, die der stärkste Dorzug
seiner Kunst ist, war hier zu einer stummen Szene geworden, einer jener, deren Gefühlsmacht
und Gedankenausdruck keines Dichters Wort gewachsen wäre.
Das Armeleutestück und die Elendtragödie waren bedenklich in Mißkredit gekommen. Dor¬
nehmlich in jener Zeit, da man nur als Kunst betrachtete, was sich mit aristokratischen Allüren
umgab. Schönherr hatte die Kraft, den Bann zu brechen, den Geschmack wieder zur tiefsten
Tragödie, zu der des Mitleids, hinzuleiten. Das Geheimnis seines Erfolges lag darin, daß er
nicht in den billigen Wirkungen lag, mit denen spekulative Autoren auf die Erschütterung der
Gemüter, auf die Tränendrüsen der Zuhörer hinarbeiten, sondern in der elementareren Kraft
des rein Dichterischen, daß seine Vorgänge von innerlicher, nicht von äußerlicher Cragik erfüllt
waren. Denn das ist das wunderbar Feine an diesem Dichter, daß seine Tragik im Kern nicht
die Tragik der Armut, sondern die des menschlichen Herzens ist, die freilich um so mächtiger wirkt,
je mehr sie in primitivster Menschlichkeit an uns herantritt. In „Karrnerleut“ ist es für den
tiefer Blickenden nicht die Not der Armen, die erschüttert, sondern das grausame Spiel mit dieser
Not, die Tragik der Verkettungen, die bei den Aermsten der Landstraße aus den kleinen Ereignissen
des Alltags die verhängnisvollen Schicksale emporsteigen macht. Auch hier ist es das tiefe Mit¬
leid, das dem Werk seine dichterische Weihe gibt, aber nicht ein schwächliches, rührseliges Mitleid,
sondern ein quälendes, bitteres, das voll herben, schmerzlichen Dorwurfes ist.
Wie weit auch das große Leben seine Kreise zieht, wie bunt und mannigfach auch die
Geschicke menschlichen Erlebens sind, alles Glück und Unglück des Lebens drängt sich schließlich
nur auf einen kleinen Raum der Begriffe zusammen, den ein paar einfache, primitive Gefühle
und Leidenschaften umkreisen. Auch die Kunst Schönherrs bewegt sich in engem Kreise um die
Tragödien der tiefen Menschlichkeiten, hält sie fest in den Schicksalen primitiver Menschen und
weiß dennoch aus dieser Enge des Stofflichen einen überraschenden Reichtum des Schöpferischen
zu holen. In den beiden Stücken „Die Familie“ und „Ueber die Brücke“ handelt es sich um Sonder¬
schicksale, Familientragödien im eng umschriebenen Sinne, während der Dichter im „Königreich“ den
Flug in allgemeine Ideenweiten nimmt, mit einem faustischen Einschlag abstrakte Gedanken¬
welten in die konkreten Dorgänge zu tragen, die irdische Tragödie der Liebe und Leidenschaften in
eine mpstische, phantastische Gedankenformel zu bringen versucht. In diesem Werk ringt Schön¬
herr mit seiner eigenen Kraft, mit der Wurzelkraft seiner Gestaltungen. Immer wieder ver¬