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2. Cuttings
empfundene Rhythmus eines starken Dichters
im Schüler nach seinem unentrinnbaren Gesetz
Der Adept Schopenhauers, der in einem Jäh¬
örenden Papagei' erwürgt, weil er ihn bei Ab¬
handlung über die Heilsordnung im Allgemeinen
ose Mitleid mit den Tieren im Besondern stört,
nig, der so unsanft in den bürgerlichen Alltag hin¬
ler, der immer verliert, weil er mit „Leidenschaft
Bibliotheksbeamte, der seine Seele an den flim¬
einer Filmdiva verausgabt: all das sind Ver¬
Kröger, sind verirrte Bürger, ebenso wie die
hantastischen Instituts für Lebenslüge, das sich
Enttäuschten nennt, oder wie selbst jener un¬
r, den der banale Schicksalsschlag eines großen
Ein Verwandter jener Halbkünstler ist schlie߬
der Skizze La Buena Sombra“. Hier meldet
in der ich Bruno Franks Eigenstes und Bestes
her Positivismus, ein Bekenntnis zur einfachen
Menschen geistiger Kultur heute selten so rein
ist. In der außerordentlichen kleinen Dichtung
das Negativ dieses Gefühls als eine großartige
der schönen Skizze Die Mutter einer ganzen
gleiche Leidenschaft positiv zum Ausdruck als
alles befruchtenden Kraft einer großen Seele.
eGrundzug gibt auch dem Roman Bruno Franks
tung und Rang. Die Geschichte ist glatizvoll ge¬
manchen Nebenfiguren (besonders in dem leicht
ortrait einer bekannten seelenlos gescheiten ber¬
in) höchst amüsant. Aber sie handeli von einem
dessen grundschwache, zur Hörigkeit geborene
die Herrin, die „Fürstin“ sucht, bis er aus einer
ung schließlich in den lautern Dienst der Natur
kter der Seetiere in einer Station für Meeresfor¬
diese Geschichte könnte in ihrem ganzen Weg,
im Abschluß, so leicht ins peinlich Sexuelle ab¬
nicht ein unbeirrbarer Sinn für das sittliche
dürfnis, den grundreligiösen Vollkommenheits¬
ern Seele aufrecht erhielte.
ngt es mit diesem bekennerhaften Zug seiner
daß Bruno Frank im Gegensatz zu Thomas
yriker ist. Freilich ringt sich die eigentliche Melo¬
nur schwer aus einer gewissen epigrammatischen
Auch Thomas Mann würde, wenn er Lyrik
frlich am meisten an Conrad Ferdinand Meyers
kener Form schulen. Die Gedichte, in denen
ten der Dinge' nachzeichnet, haben, an der großen
lle einen Gran des Bewußten zu viel, sind mehr
als lebendige Tropfen des heiligen Geistes. Aber
dies macht vielleicht grade ihren „schattenhaften“ Charakter aus.
Bis in das Wesen der Dinge aber führt statt eines gläubigen Welt¬
gefühls auch hier wieder schließlich ein sittliches Menschengefühl:
Verlanget, Freunde, nicht, im Schicksalsbuch zu lesen,
Denkt nicht, das Jetzt sei Sein, die Zukunft sei das Wesen.
So hart die Rätselnuß auch euern Zähnen war,
Sie ist gewiß zuletzt trotz allem taub gewesen ...
Das ist gemeines Los und nimmer Grund zur Reue.
Schaut froh den Weg zurück, gesteht es ohne Scheue:
Das einzig Seiende in allem Wähnen war
Ein bißchen Güte und ein bißchen Herzenstreue.
Dies hier nur formulierte =Ergebnis schmilzt anderswo als
lebendige Kraft Franks halb lyrische Kristalle zuweilen zu freiem
Fluß. Bruno Frank hat aus einer phrasenlosen Erschütterung her¬
aus im Kriegsbeginn die schönsten Worte für den grauen „neuen
Ruhm“ gefunden, der das alte, bunte Heldentum abgelöst hat; aber
er hat im Verlauf einen noch eigenern und stärkern Ton gefunden:
Ach, unser Leiden flammt!
Den Bruder töten müssen, lähmen, blenden,
Es ist nicht Menschenamt!
Er hat das schöne Wort gefunden von dem „Enkel der Erde'
der sich aus dem allzuharten Dienst des Vaterlandes sehnt. Und
Frank hat (schon einige Zeit vor dem Kriege) als sein künstlerisch
reifstes und schönstes Gedicht ein Requiem geschaffen. Die Klage
um eine verlorene Freundin gewinnt hier durch einen Wahrheits¬
willen, der mit der verhüllenden und schwächenden Macht der
Worte selbst immer wieder ringt, eine Wortkraft von größter sitt¬
lich=künstlerischer Tiefe. Die edle Sprache dieser Klage ist aus der
Kultur des alten Goethe, aus den fehllos klaren Schmerzenslauten
der Marienbader Elegie etwa, entwachsen; Franks auch in letzter
Erschütterung leidvoll gehaltenes, nie titanisch aufbegehrendes Ge¬
müt hat auch hier keine durchaus neuen Waffen geschmiedet: aber
es heißt schon etwas, die Rüstung des Riesen mit so hohem An¬
stand tragen können. Dies Requiem hat Verse von schlechthin un¬
vergeßlichem Klang:
Kein Ding, das ohne Wirkung steig' und falle;
Aber Ein Herz ist weniger als alle.
Und als äußerstes:
Kann ich dir nichts als feile Trauer geben!
Es ist nicht recht! Ich sollte nicht mehr leben!
*
Ein Dichter, dem seelische Wahrhaftigkeit Worte von so er¬
schütternd zwingender Einfachheit gibt, hat sich nun also auch dem
Theater zugewendet. In dieser Woche kommt er zum ersten Mal
auf eine berliner Bühne; da will ich dem Herausgeber nicht ins
Wort fallen. Wenn Bruno Frank — nur soviel will ich sagen
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