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2. Cuttings
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Hermann Abell, Neues aus und über Japan
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wissenhaftigkeit gegen sich selbst. Ich weiß, daß er
während der Beschäftigung mit einer Prosaarbeit
vermeidet, fremde Prosa zu lesen, und daß er keine
Besprechungen
fremden Dramen liest, wenn er selbst eine dramatische
Arbeit vorhat.
Karl Kraus spricht von Schnitzler in der köst¬
Neues aus und über Japan
lichen Literatursatire „Die demolierte Literatur“
(einem aristophanischen Werk) als von „diesem Autor,
Von Hermann Abell (Linz)
der seit Jahren an der dritten Zeile einer Novelle
arbeitet, weil er jedes Wort in mehreren Toiletten
überlegt.“
Die lyrische Moderne in Japan
Es stimmt! Schnitzler arbeitet ungemein lang¬
tto Hauser hat in einer dankenswerten Studi¬
sam, weil er höflich ist, ein Weltmann, der etwas
„Die japanische Lyrik von 1880—1900“) und
auf Formen hält und auf die Form.
D im letzten Abschnitt seiner „Japanischen Dich¬
tung"?) auf eine Dichtergruppe im junge.. Japan
aufmerksam gemacht, die, bewußt mit den Übe¬¬
lieferungen der Vorzeit brechend, im Anschluß an
So konnte er es wagen, ein Buch wie „Reigen“.
die moderne Lyrik Europas dem japanischen Gedichte
zu schreiben und zu veröffentlichen. Ein Buch, das
neue Wege sucht.
immer an der Grenze des Möglichen voltigiert, eine
Wir haben hier ein Analogon zu jenen Ten¬
fabelhaft kühne Seiltänzerei, ein Looping the Loop
denzen vor uns, die die jungen Maler Japan¬
rund um das, was man in der Gesellschaft nur durch
veranlaßten, in der Abkehr von der glorreichen
Gedankenstriche andeutet. Er ist vielleicht der ein¬
heimischen Tradition und in der Anknüpfung an die
heutige pariser Malweise ihr Heil zu suchen. Pro¬
zige, der das in deutscher Sprache konnte und durfte.
dukte dieser Gruppe waren vor einiger Zeit in Paris
in ziemlicher Zahl zu sehen, und es ist noch er¬
innerlich, daß der Anblick dieser nicht mehr japanischen
Formal steht der Dialag in der Mitte seiner
und noch nicht europäischen Gestaltungen kein rechtes
Werke. Aus ihm wächst alles heraus, zu ihm drängt
Behagen aufkommen ließ. Die Bemühungen Hau¬
alles hin. Manchmal zerflattert der Dialog zur
sers, der nicht nur das Historische jener literarischen
Causerie, einem entzückenden Hin und Her, in dem
Bewegung erzählt, sondern auch eine größere An¬
zahl ihrer Ergebnisse in guten Übersetzungen vor¬
jedes Wort auf feinstempfindlichen Wagen gewogen
legt, ermöglichen nun ein selbständiges Urteil über
ist. Das gilt auch für die Noveilen, in denen sich
den Wert oder Nachteil des Bruches mit der Tra¬
zum Dialog die psychologische Analyse als Brücke
dition, den die jungen japanischen Lyriker ungefähr
gesellt. Aber ebenso wie Schnitzler wissen auch seine
in denselben Jahren vollzogen, als auch bei uns,
Gestalten, daß der Dialog für sie den Kernpunkt
zumal in Deutschland und Frankreich, die „Neu¬
ihrer Existenz bedeutet. Ich erinnere an das Wort
töner“ mit Erfolg der lyrischen konventionellen
von der Freundschaft, die darin besteht, daß man
Schablone den Krieg erklärten.
einander die Stichworte bringt. Und als der Dichter
Die Klassizität des alten japanischen Gedichtes,
Sala davongeht, um den kärglichen Rest seines
wie es in den berühmten Sammlungen „Man¬
Lebens wegzuwerfen, sagt er zu seinem Freund:
yoshu“ und „Kokinshu“ vorliegt, beruht zunächst
auf seiner Kürze. Die enge Form des einunddreißig¬
„Bleiben Sie, Julian. Unser Dialog ist zu Ende.“
silbigen Fünfzeilers, des „Tanka“ nötigt zu einer
Was sind die Beziehungen der Menschen zu¬
vielsagenden Prägnanz, wie wir sie etwa an den
einander? — Dialoge!
griechischen Epigrammen der besten Zeit, das heißt
Denn im Grunde sind alle Menschen einsam.
also aus dem Jahrhundert der Perserkriege, oder
Keiner kennt vom andern mehr, als dieser von sich
an gewissen Strophen des Horaz mit Recht be¬
selbst verrät. Aber es ist immerhin schon etwas,
wundern.
wenn diese Beziehungen der Menschen aus dem
Zur Zeit, als unser Kürnberger (auf dessen
Zustand chaotischen Getümmels zur soziativen Ord¬
dunklen Burgberg ich beim Schreiben dieser Zeilen
hinausblicke) seine wundervollen kurzen Strophen
nung emporgehoben werden. Wenn sich anstatt des
erfand, blühte im alten Yamato eine ähnlich ge¬
brutalen Kampfes der Kräfte die Form einstellt,
drängte, ähnlich intensive Poesie. Es erklangen
um wenigstens den äußeren Anschein zu retten. Wenn
Strophen wie die folgenden:
der Dialog geboren wird als höfliches, lächelndes
Eingeständnis, daß es uns nicht vergönnt ist, uns
„Wohl tropfen im Land der Träume
mehr voneinander wissen zu lassen.
Von Tau Gebüsch und Bäume,
Denn eine Nacht, in ihm verbracht,
Das ist der Weisheit letzter Schluß. Es ist die
Hat mir den Armel ganz feucht gemacht.“
Weisheit des leichtsinnigen Melancholikers ..
„Wie lieblich steht die Frühlingsweide!
An ihren Fäden von grüner Seide
Reiht sie den Tau im Niederlauf
Zu weißen Perlen auf.“
1) Die japanische Lyrik von 1880—1900.
Eine Studie und Übersetzungen von Otto Hauser.
Großenhain (Sachsen), 1904. Verlag Baumert und
(1,75).
Ronge. 94 S. M. 1
*) Die japanische Dichtung. Von Otto Hauser.
Die Literatur, herausgegeben von Georg Brandes,
Bd. 5) Berlin, Bard, Marquard &=Co. 68 S. M. 1,25 (1,50).