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2. Cuttings

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oder Bilder, oder Gespräche, oder wie sie sich eben selbst charakterisieren,
sehr blaß, sanft getönt. Sie sprechen eine leise, elegante Sprache, nur selten
erheben sich die Worte in königlichem Purpur. Gleiche Linien leichte Farben,
leise Parfums, manche kokette Schnörkel und ein sehr revolutionärer Geist.
In das alte, tägliche Leben scheint das Licht einer neuen Betrachtung.
Es ist nur ein Bestreben in diesem neuen Menschen, ein Drang; der nach
Gerechtigkeit. Und darum zerstörte er alle Werturtheile, er ist kein Gradmesser
der Empfindungen. Königliche Mächte werden von ihren Thronen gestürzt
und Bettlerinnen zum Purpur erhoben. Herrschen soll die Schönheit. Darum
ist das zweite Centrum seines Buches das Weib. Das Weib hat die höchste
Aufgabe, schön zu sein mehr sie ist der Inbegriff, das Symbol der Schönheit.
Und das ist der utopistische Idealismus dieses Dichters, daß er gleich mit dem
furchtbarsten Haß das hassen muß, was seine Schönheit aufgiebt. Die höchste
Liebe zur Natur, welche die keuschen Blüten und die ahnungslosen Kinder erschafft,
bringt ihn zum höchsten Haß des natürlichen, zum Haß der Blüten, die sich zu
Früchten verdicken, zum Haß der Frauen, die als Gebärerinnen zu Thieren sinkend,
ihre höchste Schönheit deformieren. Das ist der perverse Platonismus in seinem
Buche. Das gleiche gilt von den Seelen, die ja den Körpern gehorchen und um¬
gekehrt. Rein und strahlend sind die Seelen der Kinder, die über die niederen
Ereignisse gleichsam von aller Erdenschwere frei zu schweben scheinen. Und über
die Welt schaut wieder wie ein befreiter Adler die Seele der Frauen, die nicht
mehr gebären. Zwischen diesen glücklichen Altern des Weibes liegt die Trauer,
die Qual, die Erniedrigung, die Schmach. Diese Sehnsuchten, die ganz still in
den Seelen ruhen, sprechen kaum durch einen Seufzer, oder durch das Senken
der Lider oder durch das Aufschlagen des Blickes, oder durch ein Schweigen
.Und da wird dieser wunderliche Sonderling und Schwärmer durch sein tiefes
Mitleid und durch seine ganz vibrierende Seele fast selbst zum Weibe in dem
höchsten Verstehen dieser geheimsten Empfindungen....
In diesen Skizzen von den verheiratheten Frauen, oder von den jungen Mädchen,
die schon Bräute sein können, sind Fragmente zu Tragödien.
In seiner Philosophie ist eine wunderliche Askese, ein seltsames Griechenthum.
Man könnte von einer christlichen Renaissance sprechen, die dieses Buch etabliren
will. Von allen Schönheiten seien die Schleier gezogen. Scham ist die Verlogen¬
heit der Unvollkommenen; aber im schauenden Verzicht sei die höchste Lust. Mit
allen Sinnen möge man genießen, nur nicht durch die brutale Gewalt zerstören ..
Und zweierlei will die Erziehungslehre dieses Buches: die einen Menschen
und ihr Leben mit allen todten, umgebenden Dingen und Geräthen zur höchsten
Schönheit führen, die andern lehren, diese Schönheit zu verstehen und zu genießen,
sie zu erschaffen, und selbst zu bilden.
Darum ist gerade in diesem überfeinerten, zarten Typus die höchste Liebe
zur Kraft. Und die Grausamkeit verehrt er, wenn sie unbeirrt von der Welt, die
Schönheit ihres Wesens durchsetzt. Da sind die Bewegungen der Kinder, ihre Spiele,
die unbeirrte Grazie ihres noch ganz unbewußten Gehens, die Keuschheit ihrer
Worte, die mit Interjectionen noch eine Welt besagen, der ganze höchst grau¬
same Egoismus, der mit steiler Kraft sein Wesen zur Herrschaft bringt.
An sehr viele Stellen ist diese Erziehungslehre vertheilt, mit diätetischen
Weisungen und einer wunderlichen Hygiene. Da sind Bemerkungen über die Art
der Seidenstoffe, oder über die Handarbeiten, wie Kleider die Glieder lösen oder
fesseln, oder über den Wert des Schlafes und der Bäder; wie man liegt; oder
über den Genuß der Bücher, oder über die Technik und das Heilmittel der An¬
spielungen, oder über den Tausch der Blicke, oder wie in Blicken etwas geboren
wird, wie Blicke sich umarmen, oder wie in ihnen etwas sterben kann, und über
die Möbel, und über das Aroma der Cigaretten und über die besten Sorten.
Ueber Blumen und über Papageien, über die Art eine Tafel symphonisch zu decken,
in rosa oder blau; da sind Arten des Verstummens und Beredtwerdens, des Er¬
röthens und Erbleichens. Da ist eine chemische Analyse, um den strengen Gang der
Gedanken von den reichen Gefühlen zu scheiden.
Und in allem diesen liegt eine ganze Revolution.