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gmner wrrecher gereren Se wal
Auch dort, wo er den Vibrationen der allergegenwärtigsten
Seele nachgespürt hat, im „Zwischenspiel“ etwa, da drang
er so tief und so innig ins heimliche Fühlen, daß es ihm
langsam und sacht ins Ungewisse, ins Unwahrscheinliche
und Märchenhafte verflimmerte. Ein Märchen vom Lieben
und vom Sterben ist sein ganzes Werk. „Anatol“ war sein
erstes Buch, das Buch eines soignierten Flaneurs, eines
homme à femme, und „Sterben“, diese melancholische
Nachdenklichkeit, sein zweites. Er hat wundervoll tiefe
Dinge über die Liebe gesagt und erstaunlich lässige, frap¬
pierend vornehme, gleichsam manikurte über den Tod,
und er hat, ganz früh schon, im „Anatol“ bereits, jene
Formulierung gefunden, in der uns das Märchen zeitlich
näher gerückt, moderner und — wenn man so sagen darf
— realistischer erscheint: den Somnambulismus, die Tele¬
pathie, die Suggestion, deren rätselhaftes Wesen die Ge¬
liebte des Herrn v. Sala auf seinem „Einsamen Weg“
erfüllt und die ganz in samtene Dunkelheit gehüllten letz¬
ten Novellen.
Vielleicht ließe sich der Tonfall, der Rhythmus, die
Melodie, in der all das auf weiche, wienerische Art gesagt
ist, — vielleicht ließe sich auch über die Dichtung Schnitz¬
lers der Titel schreiben, der uns von Grillparzer her ge¬
säufig ist: Leben und Traum; denn ein unbändiges Leben¬
Wollen ist in allen Gestalten Schnitzlers, eine schwelge¬
rische Daseinsfreude und ein kennerisches Genießen des
Seins, wie es in den Rebengeländen rings um die Stadt
der Phäaken erblüht und daheim ist. Schon in dem wun¬
dervollen einen Akt der „Lebendigen Stunden“, da spricht
es diese Vormärzgestalt des Anton Haushofer gegen den
Sohn, dem der Tod der Mutter zum Gedicht wird, aus:
„Was ist denn deine ganze Schreiberei, und wenn du das
größte Genie bist: was ist sie denn gegen so eine Stunde,
so eine lebendige Stunde, in der deine Mutter hier auf
dem Lehnstuhl gesessen ist und zu uns geredet hat, oder
auch geschwiegen — aber da ist sie gewesen — da! Und sie
hat gelebt, gelebt!“ Und Schnitzler hat in diesem Kleinod
seiner Kunst ein wenig gegen sich selber polemisiert, hat
mit der souveränen Allüre der Ganz=Großen sich selber in
die Feder und über den Papierrand geschaut und hat in
diesem Einakter zum ersten Male jene leise Heinische Selbst¬
äronie gewonnen, die als Kontrapunkt in den meisten
seiner späteren Werke mitschwingt und in dem letzten,
dem „Weiten Land“, eine prickelnde Kontrastierung zwischen
weithin hallender Bezeichnung und engbrüstigem Inhalt
gibt. Auch da ist wiederum — freilich in den ungeistigsten
animalischen Formen — solch ein Stück Wille zum Leben
gestaltet, in dem Fabrikanten Hofreiter (dünkt er euch nicht
der minder liebenswürdige, weil ältere Bruder Ayätols
zu sein; denn einen Flaneur mit 40 oder 45 Jahren(einen
Mann jenseits der Schaffensmitte, der immer yür den
Schürzenschleifen und Automobilschleiern nachläpft, den
können wir fünf Akte hindurch nicht ertragen). Aber
immerhin: er bleibt Repräsentant der Schnitzlerschen Welt,
Bruder jenes Mädchens, das über die Leiche des Vaters
weg, gelockt von dem „Ruf des Lebens“, in zwei offene
Leutnantsarme springt, Bruder jenes Leutnants Gustl,
dem das Duell von morgen heute den Angstschweiß aus den
Poren treibt, und jenes armen Schwindsüchtigen, der im
„Sterben“ hinsiecht, während sein Mädel, diese ins Unend¬
liche duldende Magdalena, neu dem Leben entgegenatmet.]
Immer wieder ist es „Der Ruf des Lebens“, den Schnitz¬
ler dichten will, aber es wird gewöhnlich ein Sterben.
Reden nicht auch die Menschen, denen das Leben am teuer¬
sten gilt, sehr viel und häufig vom Tod? Es ist, als würde
er sich eine Angst vom Leib damit schreiben. Und sehr mutig
sind auch seine Helden nicht, im „Freiwild“ nicht, wo der
eine den andern hinterrücks über den Haufen knallt, im
„Jungen Medardus“ nicht, wo der Held kein Täter ist,
sondern ein Dulder, und dann der Leuinant Gustl ...
feuch Grillparzers Helden sind keine Helden. Rustan dekla¬
miert: „Und die Größe ist gefährlich, und der Ruhm ein
##eres Spiel: was er gibt, sind nicht'ge Schatten, was er
pimmt, es ist so viel.“ Norddeutsche Naturen werden
onders denken, aber Grillparzer war Wien, und Schnitzler
in Wien, und was Grillparzer über seine Dichtung gesetzt
jot, dies ließe sich auch über Schnitzlers Dichtung jehen:
eenn du vom Kahlenberg
e
das intensivste Studium des Arztes von einst. Da vergehen
ihm täglich viele Stunden ernster Arbeit, die den Wienern,
die ihn immer noch als den Schöpfer des „süßen Mädels“,
als den Schnitzler der Liebelei, des Reigen, des Anatol
sehen, höchst verwunderlich wären; er aber sagt mit einer
seltsam zusammengerafften Energie: „Man muß sich zur
Arbeit manchmal zwingen, jeden Tag sein Pensum; wenn
man einmal eine Sache hat, dann durch! Denn es ist wie
bei dem Astronomen, der zu lange durchs Fernrohr schaut:
das Firmament beginnt plötzlich zu flimmern.“
Und diese Arbeitsmethode mag es auch sein, die den
Werken Schnitzlers jenes Mühelose und Leichte, das Selbst¬
verständliche und Zwingende gibt. Die Wiener freilich sehen
in ihm weniger den Nachspürer letzter seelischer Essenzen,
als den lächelnden, tändelnden Anatol=Flaneur, sie nehmen
die Tragik seiner Werke nicht recht ernst, wie sein kleiner
Bub, dem er den Inhalt von „Der Schleier der Pierette““
erzählt hat und der, als er auf die Frage nach dem Schluß
die Antwort bekam, „Zum Schluß sind alle tot“ — gesagt
hat: „Das sieht dir wieder einmal ähnlich, Papa“. Die
Wiener haben sich bis auf den heutigen Tag jenen mon¬
dänen jungen Mann nicht aus dem Gedächtnis gewöhnt,
der ganze und halbe Tage lang wie andere mondäne junge
Herren im Café Griensteidl saß, tief in die Stirn die
Heinische Schnitzlerlocke, die beinahe so populär geworden
ist, wie die rote Weste Gautiers. Noch durch ein anderes
Werk neben der Liebelei ist er hier populär und berühmt,
durch die Geschichte vom „Leutnant Gustl“ die ihm die
Offizierscharge gekostet und für lange den Weg ins Hof¬
theater versperrt hat.
Erst Max Burckhard legte ihn frei, und „Der junge
Medardus“: das war im vergangenen Jahre ein verblüffend!
grandioser Beweis von dem Können des längst totgesagten
Burgtheaters. Aber immer noch spielt das Deutsche Reich
die Dichtungen Schnitzlers den Wienern zuvor. Man hat
den „Ruf des Lebens“ in Berlin drei Jahre früher sehen
können als in seiner Heimat und hat den „Einsamen Weg““
nur an jenen Gastspielabenden genießen dürfen, an deuen
Sauer und Bassermann, die Lehmann und Reicher auf der
Szene des Theaters an der Wien standen. Und wenn die
Zeitungsmeldungen recht behalten, dann wird an/15. Mai#
Artur Schnitzler, ein Stück verkörperten Wieny auf dem
letzten deutschen Provinztheater durch Auffühfrung eines
seinerStücke gefeiert und geehrt sein.