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1. 50th Birthdar
Ktdieningaee Sunr
Ausschnitt aus: Mährisch-, Schlosischel
vom: 13 MAl Cerrespendent, Brünn

K
Theater, Kunst und Titeratur
Schnitzters Frauengestalten.
(Zum 50. Geburtstage des Dichters.)
Im Reigen wiegen sich Lebenskünstlerinnen,
denen das Sein Koketterie, Liebe ist, gleißt Leo¬
kadia, die Dirne, die Snobs folgen nach und jene,
mit entsagendem Blick, denen das Lebensrätsel un¬
gelöst blieb: Hinweg über Hänge und Schroffen
der Konvention, jung genießen mit ganzen Sin¬
nen und halbem Herzen.
Ein ungestümer Tanz an den Grenzmarken:
landläufiger Moral: Im Betrügen liebenstreu
bleiben, großherzig sein, das heißt ins Herz die
Liebe zu Vielen einschließen; ein Tanz, bei dem
sich Demimonde, Dienstmädchen, süße Mädl, junge
Frauen unerkannt die Hände reichen — dies der
Reigen, der Se nitzlers Werke durchwirkt.
Und immer die Schönen, die Reizenden sind
es an welche das hohe Leben herantritt, sie zärtlich
um die Hüften nimmt und den wilden Tanz der
Sinnenlust wirbelt, um sie erschöpft in einer Ecke
dem Anderen zu überlassen. Von einer Hand in die
andere, denn man muß lieben gelernt haben, um
lieben zu können. Und das Ende Vieler: „In der
Stadt werden sie geliebt, in der Vorstadt gehei¬
ratet.“
Immer die Reizenden, die uns im ersten Au¬
genblick bezaubern, bevor sie noch gesprochen haben.
Wir folgen den Pfaden der schönen Frau, es ist
uns, als hörten wir das Rauschen ihrer Schleppe,
atmeten den Duft, der sie umströmt; läßt sie das
Schicksal trauern, so leiden wir mit ihnen, möch¬
ten denen helfen, die es sind. Und dies ist das Ge¬
heimnis des Künstlers. Wir lieben Schnitzlers
Frauengestalten, zumindest fühlen wir uns von
ihnen angezogen, bevor er uns von ihnen erzählt,
wie ein Causeur von einer geheimnisvollen Schö¬
nen. Das Geheimnis aber nennt sich Alltäglichkeit,
der Alltag wird zum Wunder, das zu keimen, zu
leben beginnt: Wir leben mit.
Und wenn uns der Causeur ein Stück ihres
Seins erzählt hat, mitten in seinem Rezit iung
hält, fragen wir immer weiter: „Was geschielt
nun mit ihr, mit Anna Rosner, mit Frau Betto
Garlan?“ Und wie Kinder, denen man von einer
entzauberten Prinzessin erzählt: „Geht sie nun der
Weg der Sterbenstausenden, haben sich Kummer
falten in ihr Antlitz gefurcht?“ Die Zeit hat di
Willenlosen fortgezerrt, es ist ihnen nurein Will
geblieben, unzerstörbar, wie der Schaft einer Di
stel, der zum Leben. Nur leben wollen! Er bleib
ihnen und uns die liebe Erinnerung an ihre hol
Zeit.
Bill.
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Klose & Seidel
= Bureau für Zeitungsausschnitte. =
Berlin NO 43, Georgenkirchplatz 21I.
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierte Bureau Deutschlands.)
Zeitung: Berliner Ztg. am Mittag
Berlin
Ort:
Datum:
1912
Herbert Eulenberg an Arthur Schnitzler.
Zum fünfzigsten Geburtstage Arthur
Schnitzlers (15. Mai 1912) widmet Herbert
Eulenberg dem Wiener Dichter in der Zeit
folgende Strophen:
Wir gratulieren Euch an diesem Tage,
Euch, unsern Brüdern, im geliebten Wien,
Wir draußen kennen es fast nur durch ihn,
Dem ich hier unsern Dank entgegentrage.
Wie oftmals lauschten wir der sanften Klage
Aus seinem Mund, wehmütige Melodien
Mit Lust vermischt ließ er vorüberzieh'n
Als weicher, daseinsseliger Lotophage.
Und weiter träumt und spielt er Blatt um Blatt
Sein Wesen ab, schlicht, ohne wen zu fragen,
Zu schauen und zu schildern niemals satt.
Wir warten still, was wird er heuer tragen?
Und lieben ihn — nichts Bess'res läßt sich sagen!—
So wie sein Wien, die schönste Vaterstadt.
Kaiserswerth a. Rh.
Herbert Eulenberg.