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SothBirthday
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Wegweiser der
Arthur Schnitzler
viel Ze¬
Durch d.
zu seinem 50. Geburtstage
Vermitt
geb. 15. Mai 1862
stahl u
Er ist kein Volksdichter, und die Literaturgeschichten für Volk
Chomse
und Schule werden wenig mit ihm anzufangen wissen. Da
meisten
werden auch viele sein, denen er zu literarisch, zu aesthetisch,
die Ein
zu erotisch erscheint. Fast alle seine Bücher handeln von der
Freibib
Liebe. Und haben die verrufene moderne Sittenlosigkeit, jene
Und er
Selbstverständlichkeit der freien Liebe, jenes überlegene Lächeln
werden
über Sünde und alles Menschliche. Aber wer tiefer schaut,
kaum
findet einen ganzen Mann und einen starken Dichter. Einen
selben
Menschen voll Zartheit und Liebe, voll Geist und Güte, voll
im all¬
Traurigkeit und Entzücken. Selbst die Schuldigen unter seinen
neueg
Gestalten sind von ihm, dem Dichter aus gesehen, rein und licht.
trägt
Freilich werden die Moralisten das nicht zugeben. Uns aber be¬
den
wegt die Anmut seiner Welt. Das große Verstehen, das in
eigen
diesem Dichterherzen lebt, macht ihn uns liebenswert. Und daß
steller¬
er, der hochkultivierte Wiener, nicht in der Flachheit des Wiener
In
Literatentums versunken, sondern immer ein stiller Eigener
lesezin
geblieben ist, wollen wir ihm hoch anrechnen. — Don seinen
400 „
Werken seien erwähnt die Stücke „Der grüne Nakadu“ „Der
engle
Schleier der Beatrice", „Der einsame Weg“ und der Roman
und
„Der Weg ins Freie“
m. 4 Jfri¬
Die Bombe, Wien
vomt 19141191
efeierte Dichter der
Artur SchhitzlerdeLS.
Piebelei“ ist fünfzig Jahre alt geworden und
das benützen einige Herren, um die Aufmerksam¬
keit auf sich zu lenken.
Man erwartet von Schnitzler immer noch
ein Lustspiel, das wäre nun jetzt eine gute Komödie:
Die Schnitzlerfeier, welche einige Herren ver¬“.
anstalten, um mehr gefeiert zu werden.
6
Frankfurter Zeitung
vom:
18, Mal. 1912„
Pr.
prodigt Villiers seine kecke Moral weiter.
g [Wiener Brief.] Man schreibt uns vom 17. ds. aus
Wien: Presse und Bühne haben Arthur Schniilers
8
/50. Geburtstag nicht vorübergehen lassen, öhlle den unaut
fochtensten der Jung=Wiener Artoren festlich zu grüßen; er
selbst ist dem Tage geschmackvoll ausgewichen. In der Tat,
50 Jahre sind kein Alter, das schon zur abschließenden Rück¬
schau Anlaß gäbe, noch weniger aber eines, dessen man sich
besonders zu freuen hätie; man kommt in die „besten Jahre",
die nicht mehr die guten sind. Die Feuilletonisten haben denn
auch nur die Gelegenheit benützt, ihr eigenes Urteil über
Schnitzler, wie man sagt, zu revidieren, was noch nicht gleich¬
bedeutend zu sein braucht mit korrigieren. Da ist denn
höchstens ein kleiner Irrtum berichtigt worden. Bei seinem
ersten Auftreten wurde Anatol nicht von der ästhetischen,
wohl aber von der moralischen Seite angefochten; man fand
seinen Lebenswandel, wie seine süßen Mädel vom Stand¬
punkt der bürgerlich guten Sitte aus anstößig. Unterdes hat
man allgemein eingesehen, daß der Dichter nicht für die
moralische Lebensführung seiner Gestalten verantwortlich ist,
so wenig wie der Naturforscher für den Charakter der Bestien,
die er schildert. Daß Schnitzler selbst ein sehr ernster, gar
nicht leichtsinniger, auch nicht mit dem Einschlag Wienerischer
Melancholie frivoler Mensch ist, weiß man seitdem allgemein.
Ein einziger Einwand gegen seine dichterische Welt ist
aber unwiderlegt geblieben:
er
hat mit seiner
immerhin schmeichelhaften Schilderung einer ganz wert¬
losen, nichtigen Schicht unserer Großstadtjugend das
öffentliche Interesse zugewandt in einer Zeit, da die Elite der
wirklichen Zeitgenossen von sozialem Fanatismus erglühte und
sich in Reih und Glied zu stellen suchte gegen die unge¬
brochenen Gewalten des alten und neuen Feudalismus, der
militeristisch=industriellen, wie der geistlichekirchlichen Autar
tätsherrschaft. Was scherte die Welt die kleinen erotischen
Leiden der Wiener Cottagejünglinge und unverstandener Cot¬
tagedamen? Schnitzler denkt übrigens kaum anders über den
Wert dieser Gesellschaft; nur ist er als Dichter objektiver und
duldsamer. Aber ich wünschte nun endlich — und das ist mein
Geburtstagswunsch für ihn —, daß er außer dem Lustspiel,
das zu schreiben er wie wenige berufen ist, uns auch den
Wiener Roman schenke, der noch immer nicht geschrieben
ist: nicht den Wienerischen, sondern den Wiener Roman, wie
Balzac uns den Pariser gegeben hat. Den Roman unserer
streberischen Politiker, unserer aalglatten Bureaukraten, un¬
serer exklusiven Aristokratie bis hinauf zu den höchsten Spitzen,
unserer Advokaten, Aerzte, Künstler, Literaten und aller dazu
gehörigen Damen. Die Typen dafür sind mit Händen zu grei¬
fen und auch diesen Basilisken kann man nur töten, wenn
man ihn in einen Spiegel schauen läßt. Der „Weg ins
war hon ein Anfang, und Schnitzler i
jcht A. auf B# Höhe seiner künstlerischen Kraft##