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verlernt. Seine männliche Welt- und Menschenkenntnis, der Reiz seiner
Probleme, die anmutige Reinheit und Gehobenheit seines Stiles, seine hohe
und sichere Geschmackskultur, die ihn eigentlich sein Leben lang vor jedem
Fehlgriff, jedem Mißlingen geschützt hat; sein feiner und starker Intellekt,
die lebensvolle Episodik, der novellistische Stimmungsschmelz seines Dramas,
die zuchtvolle und packende Form seiner Novellistik, eine gewisse liebens¬
würdige Konzilianz dabei, das Gegenteil aller menschenfeindlichen Starrheit,
und, das Beste, der Persönlichkeitszauber, der von Allem ausgeht, was er
gebildet hat: all dies hat die Stunden, die ich im Theater oder zu Hause
im Lesestuhl mit der Anschauung seiner Werke verbrachte, zu Stunden
künstlerischer Geborgenheit, unzweifelhaftesten Vergnügens, glücklich erhöhten
Lebensgefühles gemacht.
Von „Anatols“ mondäner Grazie und der sinnigen Frechheit des
„Reigens“ bis zur reichen Historie vom jungen Medardus und der Herbheit,
dem erotischen Ernst des „Weiten Landes“ — das ist ein weiter, gesegneter
Weg. Nun möge die Reihe von Werken hochreifer Meisterschaft sich weithin fort¬
setzen— dann Alterskunst folgen, weise, schonkühl und von rührender Müdigkeit.
Dem Dichter, den wir lieben, müssen wir wünschen, daß er erwählt sei,
es hoch zu Jahren zu bringen, sich ganz zu vollenden und völlig sich
selbst zu geben. Mir wenigstens hat immer geschienen, daß wahrhaft groß,
umfassend, ja wahrhaft ehrenwert nur das Künstlertum zu nennen sei, dem es
beschieden war, auf allen Stufen des Menschlichen charakteristisch fruchtbar zu sein.
München, im Mai 1912.
TAGEBUCHBLATT. VON WALTER VON MOLO.
leste sind selten der Feier wert, wenn sie im Kalender stehen; die wirk¬
lichen Festtage kann man nicht feiern, weil sie nicht vorher kenntlich
werden: Feste sind Augenblicke aus Schöpfers- oder Zufallshand. Feier
ist Störung! Und doch: Manchmal wird der äußere Anlaß zum inneren
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Fest. Solches erlebe ich durch Arthur Schnitzlers Jubiläum. Ich freue mich,
dem vornehmen Menschen und verantwortungsvollen Künstler dafür danken
zu können, daß er da ist, daß sein Persönlichkeitskern nicht auch nachahm¬
bar ist. So ist Hoffnung gegeben, daß die leichtfertigen Mäuler im „Reich“
und in Österreich allgemach mit dem Worte „Schnitzlerisch“ vorsichtiger
umzugehen lernen, daß ihnen endlich die Gewißheit aufdämmert, daß „wiene¬
risch“ und „schnitzlerisch“ ein drittes Wort in sich schließen: Kultur!
Wien hat keine Untergrundbahn, kein „Nachtleben“ und viel Schlamperei,
es hat aber auch Jahrhunderte voll geistigen Erlebens hinter sich, da andere
Städte noch im Ackerboden ruhten, und heute hat es, neben manch’ anderen,
Arthur Schnitzler, was mich herzlich freut. Er ist da und wir wissen es
zu schätzen, wenn wir auch selten Gelegenheit finden, es wo anders als
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