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den Büchern Theodor Fontanes könt solch eine Stimme von persönlichem
Zauber, aus den Büchern des Grafen Eduard Keyserling und aus den
Büchern von Herman Bang. Daher ist es, daß diese Dichter geliebt werden.
Mit einer persönlichen, beinahe könnte man sagen mit einer privaten Zu¬
neigung. Mit einer Liebe, die zuversichtlich, überzeugt und unerschütterlich
ist, die sich über die gelesenen Bücher hinweg an die persönliche Wesenheit
des Dichters wendet, ihr anhänglich ist und ergeben. Eine Liebe, die mit
naiver, treffsicherer Gerechtigkeit den Dichter und seine Werke zu einer un¬
trennbaren Einheit wieder zusammenfügt, ihn und seine Bücher als eine
einzige köstliche Erscheinung auffaßt und im Herzen trägt. So ist auch Arthur
Schnitzler gleich von Anfang an geliebt worden. Man hat von Anfang an
den edlen Geigenton seiner Stimme aus allen seinen Werken vernommen.
Es ist eine süße, weiche Zärtlichkeit in dieser Stimme, welche die Frauen
verführt, und ein herbes Festsein, ein treues Beharren in sich selbst, dem die
Männer sich nicht verschließen können. Ein unschuldig heiteres Auflachen
ist in seiner Stimme, ein Ton hingegebenen Entzückens, und dann wieder
ein Vibrieren nachdenklicher Melancholie. Und es ist in dieser Stimme eine
Güte von kindlicher Reinheit, die alles Gütige und Kindliche in uns aufruft.
Ion der Liebe sprechen alle seine Bücher, alle diese Erzählungen, diese
kleinen Dialoge und großen Theaterstücke. Von der Liebe und vom Tode.
Auch wenn sie sich anders geben, auch wenn sie manchen sinnreich unsinnigen
und erstaunlichen Verknüpfungen des Schicksals nachspüren, auch wenn
Streit, Aufruhr, Tapferkeit und Not des Daseins sie erfüllen und durch¬
schüttern möchten, ist ihr Inhalt die Liebe und der Tod.
Eine merkwürdige Kraft und Andacht des Erlebens läßt diesen Dichter
die blutdurchströmte Schwere der kleinsten Geschehnisse empfinden, die
unauslöschliche Realität der geringsten Tatsache, die tiefe Folge des flüchtigsten
Wortes. Zugleich aber hebt ihn ein geistiger Schwung und Auftrieb bis zu
einer Höhe, in welcher der atmosphärische Druck von unseren Schultern weicht,
in der die Wucht des Wirklichen schwerlos und schwebend wird, und in der
alle Wichtigkeiten sich auflösen. Seine Melancholie und seine nachdenklichen
Traurigkeicen haften am Erdboden. Liebelei. In seiner Heiterkeit aber
ist das bessere Jenseits der Phantasie, das Lächeln des Überwundenhabens.
Cassian und Leisenbogh. Die Höhe. Das Auflösen der Wichtigkeiten.
Eine Quelle seiner dichterischen Kraft: das Staunen. Die Kraft seiner
reifen und meisterlichen Kunst: das Aufspüren, Verstehen und Enthüllen
der Zusammenhänge. Ein berauschtes, lyrisch gewordenes Staunen über
das Wunder der Liebe; über die Süßigkeit, Anmut, Hingabe und beherr¬
schende Gewalt des Weibes; über den unermeßlichen Reichtum des Lebens,
über alle unfaßbaren Möglichkeiten des Glückes. Zugleich ein schmerz¬
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