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624 imimttmnenmmnmmmn Friedrich Düsel: Dramatische Rundschau. minmmmmmmmmmmmmmmmmmmmnnnn
gebracht, aber das hat ihrer Wirkung in Deutsch= Worte, die wahrlich nicht nach Greisenhaftigkeit
schmecken!
land, besonders in Norddeutschland, keinen Ab¬
Arthur Schnitzlers unermüdetes Schaffen
bruch getan. Ja, Friedmann, der Schüler
steht so deutlich und lebendig im hellen Licht
Dawisons, der gediegene Charakterspieler der Lau¬
des Tages, daß es einer Würdigung an dieser
bischen Schule, wurde sogar der entscheidende
Stelle nicht bedarf. Auch sind die Grundlinien
Förderer und Verwirklicher jenes Schauspieler¬
seiner literarischen Struktur noch dieselben wie
sozietätsplans, der 1883 das Deutsche Theater
damals, als hier (Bd. 97, S. 686 ff.) der tief
in Berlin ins Leben rief, die Bühne also, die
in die Probleme seiner Dichtungen eindringende
dann Jahrzehnte lang mit Recht als der berufenste
und vollendetste Träger norddeutscher Schauspiel= Aufsatz von Dr. Helene Herrmann erschien. Was
wir kritisch gegen ihn und seine Art auf dem
kunst galt. Friedmann spielte in der historisch
Herzen haben, finden wir zu sagen Jahr für
denkwürdigen Eröffnungsvorstellung vom 29. Sep¬
Jahr bei der Aufführung seiner neuen dramatischen
tember 1883 den Wurm in Schillers „Kabale
und Liebe“, später den Vansen im „Egmont“ Arbeiten Gelegenheit; um so eher mag es uns
und den Isolani im „Wallenstein". Doch schon vergönnt sein, jenseit der Kritik einmal wieder
an den unbestreitbaren Zeit= und Kulturwert
zu Anfang der neunziger Jahre zog er sich vor
seiner Schöpfungen zu erinnern, an den Witz
der Bühne zurück, um hinfort nur noch gelegent¬
und Geschmack, an die Grazie und den sicheren,
lich diese oder jene Gastspielrolle — so 1905 in.
selbstbewußten Kunstverstand, an den Bildungs¬
Königlichen Schauspielhause zu Berlin Richard III.
und Stimmungsreichtum und an die Schätze
und den Dusterer in Anzengrubers „G’wissens¬
„neuer Psychologie“, die sie vor uns ausbreiten
wurm“ — zu geben und eine Weile der von
und die ihnen das Interesse auch bei der neuen
Max Reinhardt begründeten Schauspielschule des
Generation noch eine gute Weile verbürgen. So
Deutschen Theaters seine Dienste als Lehrer zu
leidenschaftliche Bekenntnisdichter und Stimmungs¬
widmen. Immer mit redlichem Ernst der Sache
künstler, wie der Dramatiker des „Anatol“ der
hingegeben, hat Friedmann weniger als manch
„Liebelei“, der „Lebendigen Stunden“, des
andrer seines Berufs und seiner Bedeutung von
„Schleiers der Veatrice“ und des „Einsamen
sich reden gemacht, jedoch nie verhehlt, daß er
Weges“, wie der Romandichter der „Frau Bertha
ein Mann der alten Schule war, einer, dem die
Garlan“ und des „Weges ins Freie“ einer ist,
schauspielerische Rolle und ihre Möglichkeiter
haben mehr als einem Geschlecht etwas zu sagen;
obenau standen. Er hat gezeigt, daß man auch
ja, manches von dem, was uns heute in Skepsis,
so eine Persönlichkeit sein kann und das Mensch¬
liche, das immer den letzten Ausschlag gibt, nicht Ironie und Schwermut zu tief fast verhüllt und
verkapselt scheint, wird erst vor den Augen und
zu vernachlässigen braucht. Daß er von seinem
Tuskulum in Blasewitz die jüngsten Wandlungen Seelen der Kommenden völlig seine Kelche öffnen.
unsers modernen Theaters nur mit ernsten Be¬ Manchmal hat es uns wohl gelinde verwundern
denken beobachtet, wird keinen verwundern. Erst wollen, daß dieser mit all seinen Fasern in Wien
wurzelnde Dichter der leisen Töne und ver¬
vor kurzem hat er seine Warnerstimme gegen die
schleierten Gefühle, die doch ständig um das bange
Verherrlichung der „Herren Regisseure und Ka¬
Thema vom „Tod und Leben“ spielend kreisen,
pellmeister“ erhoben, sowie gegen die „moderne
neben dem ganz und gar anders gearteten Haupt¬
Ausstattungs=Neurasthenie“ die im Begriffe sei,
mann zu den Getreuesten der Brahmschen Bühne
„die große Menschendarstellungskunst total zu
gehört; dann aber sind wir uns immer bald wieder
verschlingen". Daß aber gut Komödie gespielt
bewußt geworden, daß es hinter allen romantischen
werde, sei und bleibe doch die Hauptsache! „Die
Schleiern und Spielermasken doch stets warm¬
Nichtbeachtung dieses Grundsatzes“, fährt er fort,
blütige Menschheitsdinge sind, die ihn bewegen,
„verschuldet geradezu die erschreckende Formlosig¬
und daß er seelisch reife Menschendarsteller braucht,
keit und den Stilmangel unsers heutigen Schau¬
um auf der Bühne Gestalt werden zu sehen, was
spielerdurchschnitts. Durch den Mangel an Füh¬
er scheinbar ganz still für sich und doch zugleich
rung und Überwachung geraten viele Darsteller
merkwürdig bühnengerecht — ein Arzt auch als
in Willkür, Verwilderung oder Verflachung, die
Dichter — erlauscht, erforscht, erkannt und „ein¬
in geschmacklose, häßliche Sonderbarkeiten aus¬
bekannt“ hat. Poeten seines Schlages sind mit
arten und so allen künstlerischen Grundsätzen ins
Gesicht schlagen. Wir haben jedoch eine höhere ihrem Können und Leisten an die Tage der Ju¬
gend nicht gebunden; erst der „Mann von fünfzig
Aufgabe: des Dichters große Gedanken und Ge¬
stalten so zu verkörpern, daß sie dem Publikum Jahren“ wird vielleicht ganz mit dem eins und
in bester, edelster Form klar werden." Das sind einig werden, wozu ihn Wesen und Gaben locken.“
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