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ADOLF SCHUSTERMANN);
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGESTR 22-24
Zeitung: Braunschweiger Anzeiger
Adressel Braunschweig
Datum:
1 6 MAIIZ
„Der Schleier der Beatrice“, die vier Einakter „Leben¬
Arthur Schnitzler.
dige Stunden“ für die er 1903 den Bauernfeldpreis er¬
Zu seinem 60. Geburtstage.
hielt, das Schauspiel „Der einsame Weg“, die Komödie
Von Albin Roßlau.
„Zwischenspiel“, das Schauspiel „Der Ruf des Lebens“,
für das ihm 1908 der Grillparzerpreis zuteil ward, die
(Nachdruck verboten.)
drei Einakter „Marionetten“, die Komödie „Komtesse
Arthür Schnitzler, der seit einem Menschenalter etwa
Mizzi oder: Der Familientag“, das Schauspiel „Deutsche
mit seinen Stücken die deutsche Bühne beherrscht, ist viel¬
Kolonisten“, die dramatische Historie „Der junge Medar¬
leicht in diesen ganzen Jahren niemals soviel genannt
dus“ die Tragikomödie „Das weite Land“ usw. usw.
worden, wie in diesem letzten Lebensjahre, da „Der Rei¬
Auch Novellen und Romane hat Schnitzler veröffentlicht,
gen“ über die Bretter ging. Aber man begeht einen voll¬
so 1894 die Novelle „Sterben“ kleine Novelletten „Die
kommenen Irrtum, wenn man nun Arthur Schnitzler
Frau des Weisen“ sodann „Frau Bertha Garlan“, „Die
immer nur als den Dichter des „Reigen“ ansieht und
griechische Tänzerin“, den Roman „Der Weg ins Freie“,
aus dieser ursprünglich nur für seine Freunde als Privat¬
die Novellen „Masken und Wunder“.
druck erschienene Szenenfolge sein Künstlerporträt be¬
Unmöglich, alle diese Werke im einzelnen hier zu
trachtet.
charakterisieren. Sein dichterisches Schaffen wurzelt ganz
Arthur Schnitzler, der nun sein sechzigstes Lebens¬
im Wienerischen. Schnitzler ist nicht nur von Geburt
jahr vollendet, wurde am 15. Mai 1862 in Wien als der
und Erziehung Wiener, er ist's auch aus innerster Nei¬
Sohn eines berühmten Gelehrten geboren, des Laryngolo¬
gung. Er ist der dichterische Schöpfer der süßen Wiener
gen Professor Dr. Johann Schnitzler, und wandte sich
Mädels, in allen seinen Schattierungen. Er hat es als
selbst aus innerster Neigung frühzeitig der medizinischen
Seelenforscher eingehend studiert und mit dem zweiten
Wissenschaft zu. Bereits mit dreiundzwanzig Jahren
Gesichte des Dichters seine ganze Süßigkeit auch da auf¬
wurde er zum Doktor der gesamten Heilkunde promo¬
gezeigt, wo weniger tiefblickende Menschen nur die ange¬
viert. Er war dann zunächst in verschiedenen Stellungen,
faulte Oberfläche erblicken würden.
am allgemeinen Krankenhause und an der Poliklinik als
Dabei kommen wir nun zu dem Hauptvorwurf, der
Arzt tätig, und er praktiziert bis heute, seine literarische
dem Dichter des „Reigen“, lange bevor der Kampf um
Tätigkeit nur nebenbei ausübend. Und wer diese ge¬
den „Reigen“ begann, gemacht worden ist. Man hat
nauer betrachtet, wird im Dichter Schnitzler auch immer
schon dem Dichter des „Anatol“ den Vorwurf der Frivo¬
den Arzt, den Seelenforscher, den Heilkünstler am Werke
lität, der Leichtfertigkeit gemacht. „Nichts Törichteres,“
finden, und nicht zuletzt ist dies auch beim Schaffen des
diesen für den Anatol¬
so sagt Wilhelm Herzog, „als
viel erörterten „Reigen“ der Fall gewesen.
Er hat das Leichte, Un¬
Dichter herkömmlichen Stempel.
Erst im Jahre 1892 erschien er mit einem Bande
beschwerte vieler Franzosen. Nicht nur die Frauen
dialogisierter kleiner Novellen „Anatol“, einer der fein¬
Wiens, auch die Dichter fühlen sich denen von Paris am
sten literarischen Erscheinungen des letzten Menschenalters
nächsten. Aber dieser Causeur, dieser vortreffliche Dialog¬
auf dem Markte.
schreiber, war nie ein leichtfertiger Plauderer; vielmehr
„Also spielen wir Theater, Spielen unsere eignen
ein rechter Künstler. Kein Revolutinär, der aufpeitscht;
Stücke,
vielmehr ein stiller Kopf, der leicht spöttelt, ohne je den
Früh gereift und zart und traurig, die Komödie unserer
Ernst dieses Daseins zu vergessen. Denn über allem
Seele,
Leichten, Heiteren dieser kleinen und doch so reichen Welt
Unseres Fühlens Heut und Gestern, böser Dinge hübsche
liegt etwas Dunkles, Schweres, nun — man möchte sagen
Formel,
lockende Melancholie.“
Glatte Worte, bunte Bilder, halbes heimliches Emp¬
Man darf auch eines bei dem Vorwurf der Frivolität
finden,
nicht vergessen: Schnitzler ist Arzt. Als Arzt aber ist er
Agonien, Episoden..“
gewöhnt, die Finger auf das faulige Geschwür zu legen;
Diese berühmt gewordenen Worte hatte Hugo von
er ist gewöhnt, auch jedes Ding beim rechten Namen zu #
Hofmannsthal diesem literarischen Erstling Schnitzlers
nennen. Ein Arzt kennt kein kleinliches Genieren und
als Prolog vorangestellt, und sie wurden gewissermaßen
Verbergen. Und Schnitzler hat, wie gesagt, auch als
zum künstlerischen Programm des Dichters für alle seine
Dichter niemals den Arzt verleugnen können. Er diagno¬
Dichtungen. Sie erklären auch die Frische und Lebens¬
stiziert auch in seinen dichterischen Schöpfungen scho¬
wärme in Schnitzlers Dichtungen, der dann 1895 durch
nungslos. Aber er hat auch für alles ein mildes Ver¬
sein aus Humor und Wehmut, aus Lebenslust und tragi¬
stehen und Verzeihen. Dieser Vorzug ist ihm zum Ver¬
scher Verzweiflung zusammengesetztes Lebensbild „Liebe¬
derben geworden, hat ihm den Vorwurf der Frivolität
lei“ den breitesten Massen des deutschen Theaterpublikums
zumeist eingetragen. Frivol kann aber nur der sein, der
bekannt wurde. In diesem und in „Freiwild“ offenbart
aus Liebe zum Leichtfertigen sich mit diesem vor allem
sich mit besonderer Stärke der Dramatiker Schnitzler.
abgibt. Diese Vorliebe konnte vielleicht scheinbar vorhan¬
Mit mehr oder weniger Glück, je nachdem in den
den sein. Dem Arzt mußten sich wohl vor allem jene
Stücken sich mehr der feinsinnige, plaudernde Dichter
Dinge ungesucht enthüllen, die den anderen wohl ganz
oder der schärfere Dramatiker zeigte, trat Schnitzler dann
verborgen bleiben können, wenn er sie nicht aufsucht.
„mit zahlreichen Dramen an die Offentlichkeit, deren Fülle,
Überblickt man das ganze Schaffen Schnitzlers, so wird
neben seiner sehr starken Praxis als Arzt entstanden,
man jene Vorliebe nicht wahrnehmen. Und daß er ein
schon allein seine Genialität bekunden würde. Wir ver¬
liebevoller und milden Richter aller Menschlichkeiten ist,
zeichnen hier nur die Schauspiele „Das Märchen“, „Das
wird man einem Dichter eher als Vorzug denn als Vor¬
Vermächtnis“, die drei Einakter „Der grüne Kakadu“
„Paracelsus“, „Die Gefährten“, das herrliche Schauspiel wurf nachsagen.
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manmirser