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6oth-Birthdag box 39/3
OLF SCHUSTERMANN
GZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Wiener Stimmen
Adresse:
Wien 181A1 1
Datum:
Die Beleidigten.
Das Bildche## gestrigen „Wiener Stimmen“, das etliche
Ferkeichen für Gratulationscour bei Schnitzler antrippeln ließ,
sum ihm, der f. a. doch sicherlich ein=erer der gliekenden Lite¬
fratur ist, des schäldigen Lorbeerkranz zu überreichen, mißfällt
lüberraschender Weise sowohl der jüdischnationalen „Wiener,
Morgenztg.“ als auch dem nicht näher qualifiziert jüdischen
„N. W. Journal“. Ohne es offen herauszusagen, daß in den
jubilierenden Regionen der Genuß von Schweinefleisch unter¬
sagt ist, tun diese Rabbis doch höchst indigniert. Während der
zionistische Schweinefleischverächter die unloschere Annäherung
an Schnitzler mit Flegeleien gegei Frau Jeritza kompensieren
zu sollen glaubt, behauptet der vom „Journal“ die von Zasches
Meisterhand vorgeführten Gratulanten wären „eine grobe Ge¬
schmacklosigkeit“ kurz: trefe. Es käme auf eine Kostprobe an,
sie sehen nicht danach aus; aber wenn es sich so verhalten sollte,
so sind die „Wr. St. und der Künstler unschuldig daran. Denn
die Deputation, die den Lorbeerkranz überreicht, repräsentiert
jene Kreise, für die der Jubilar seinen „Reigen“ geschrieben
hat und szenisch vorführen läßt.
Die beiden Blätter, die jetzt, da sich die Schweinchen zur
Audienz melden, vor ihnen nix zu erkennen geben wollen, wer¬
den nicht in Abrede stellen können, daß sich die christliche Bevölke¬
rung lange und nachdrücklich genug gegen die schweinernen
Darbietungen gewehrt hat. Man hörte nicht auf ihren Einspruch,
denn der Handel mit der unkoscheren Ware brachte fetten Pro¬
fit. Die Entrüstung der Protestler erstickte in den Grunzlauten
jener Gesellschaft, der die Bühne keine moralische Anstalt ist,
sondern die „halbe Welt“ bedeutet. Heute möchten die Ferkei¬
züchter gekränkt tun, weil zum Sechzigsten nicht die Bevölke¬
rung, deren Moral beharrlich angegrunzt wurde, sondern eben
eine Abordnung der Bevorzugten vorspricht! Heute ist auf ein¬
mal die Sehnsucht nach dem Feigenblatt erwacht, heute ruft
man nach dem „einigen geistigen Oesterreich“, das den Jubilar
feiern sollte, der „einer der ganz wenigen Oesterreicher“ sei,
„die dazu beitrugen, den alten Ruf von Wien als geistiges
Zentrum lebendig zu erhalten". Darüber, was Schnitzler zur
Erhaltung des „alten Rufes von Wien“ beigetragen hat, soll
hier nicht kleinlich gemäkelt werden, aber daß gerade auch er
mitgewirkt hat, Wien im fernsten Auslande in Verruf zu
bringen, als wäre es eine der ergiebigsten Geburtsstätten des
literarischen Unrats, der die Erde überschwemmt und die Na¬
tionen verseucht, kann durch Zeugnisse in allen Kultursprachen
belegt werden.
Aber vielleicht dürfen wir in dem Umstande, daß man in
Schnitzlers Kreisen von dem Erscheinen der Schweinchen unter
den Gratulanten peinlich berührt ist, den Schluß folgern, daß
man beginnt, sich ihrer zu schämen! Niemand würde
es aufrichtiger begrüßen als die „Wr. Stimmen“, aber bevor sie
es tun, möchten sie doch fieber den Ausfall der Probe anf
Mnen
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Exempel abwarten. Wenn man nach dem Sechzigsten genau so
wie vorher die Ferkel hochleben lassen würde, dann wäre es un¬
billig und Pharisäertum, sie gerode an dem einen Tage zu ver¬
leugnen und nicht vorzulassen.
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Wenags
Die Tagung des Bübnenvereins.
Teilnahme an der Ehrung für Arthur Schnitzler.
In der gestrigen 59. ordentlichen Beneralversammlung
des Deutschen=Bühnenvereins, die unter Ausschluß der Offent¬
lichkeit rehr interne Vereinsangelegenheiten behandelte, wurde
auch die Frage der Präsidentenwahl erörtert. Es wurde ein¬
stimmig beschlossen, von einer Neuwahl des Prä¬
sidenten vosläufig abzusehen. Vizepräsidenten
bleiben Staatsgät Dr. Korn (München) und Dr. Löwe
(Breslau). die Leitung liegt wie bisher in den Hünden des
geschäftsführenden Direktors, Rechtsanwaltes Arthur
Wolff.
Die Fortsetzung der Generalversammlung, die heute
öffentlich war, wurde mit einer Trauerkundgebung für den
verstorbenen Präsidenten Baron zu Putlitz eröffnet. Herr
v. Schillings widmete dem Verstorbenen warnie Worte
der Ehrung und des Dankes. Dann wurde die Tagesordnung
durch Staatsrat Dr. Korn, den Vertreter der bayerischen
Staatstheater, eröffnet. Es gelangte ein Antrag des Bezirks¬
verbandes Bremen—Schwerin zur Beratung, die dienstfreien
Tage für Chok, Ballett und Orchesterpersonal und die Sonder¬
vergütungen für Doppelvorstellungen aufzuheben. Der An¬
trag stützt sich auf eine Statistik, die für eine Anzahl großer
und kleiner Bühnen zusammengestellt wurde und aus der
hervorgeht, daß kaum eine einzige Bühne ihr Personal acht
Stunden im Tag beschäftigt, viele noch nicht mal 4 Stunden.
Ein großer Teil der deutschen Theater hat die Nachmittags¬
vorstellungen einstellen müssen, da sie sichs die Sonderver¬
gütigungen nicht leisten können. Bei dieser Gelegenheit fiel
auch ein scharfes Wort gegen den Schauspielernachwuchs von
heuet, der vielfach nicht Künstler sein will, sondern nur An¬
wärter auf Tarifnundestgagen. Durch den seit einiger Zeit
nicht mehr gestatteten Abzug des Krankengeldes von der
Gage, hat sich die Zahl der Krankheitsfälle verzehnfacht;
daraus bittet der Referent den Sch'uß zu ziehen, daß dieser
Abzug wieder eingeführt werden müsse.
Die Anträge werden ohne Debatte angenommen; der
Ersatzantrag, anstelle des freien Tages drei freie Halbtage zu
gewähren, wird vorläufig zurückgestellt.
Direktor Altmann eantragt, daß der Deutsche
Bühnenverein an der Ehrung für den heute in Berlin weilen¬
den Dichter Arthur Schnitzler teilnimmt. Es wird be¬
schlossen, ein Glückwunschtelegramm an den Dichter abzusen¬
den und möglichst zahlreich an der heute Abend im Residenz¬
theater stattfindenden Aufführung von „Das weite Lano“
teilzunehmen.
Einstimmig wird ein Antrag angenommen, die Oper
Mignon 6 Monate lang auf keinerdeutschen
Bühne aufzuführen, da der französische Verleger unan¬
nehmbare Bedingungen stellt.
Als letzter Punkt stand auf der Tagesordnung: Stellung.
nahme gegen das Ueberhandnehmen von Vereins¬
vorstellungen die ohne Berechtigung dazu, urheber¬
rechtlich geschützte Werke aufführen. Daß das keine un¬
wesentliche Sache ist, geht aus der Tatsache hervor, daß es
bisber, wie Rechtsanwalt Wolff ausführte, 476 solcher
Vereinigungen gibt, die Theateraufführungen widerrechtlich
veranstalten. Das Vorgehen gegen die Vereine ist dadurch
erschwert, daß neuerdings nur Privatklage gegen sie zulässig
ist. Es wurde eine Resolution gefaßt, auf gesetzgeberische
Maßnahmen gegen das kunst- und kulturfeindliche Treihe
von Dilettantenvereinen hinzuwirken.